Wie Sprachen Laute benutzen

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(Phonemische Prozesse)
(Phonemische Regeln und Silbenstruktur)
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Nun haben wir einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten, sprachliche Laute in Gruppen einzuteilen. Vielleicht hast du auch schon eine grobe Vorstellung, wie deine Phoneme aussehen könnten. Phoneme, deren Phone lediglich eine unterschiedliche Verbreitung haben, kannst du sogar bereits bauen. Allerdings sind die Phone eines Phonems meistens durch Regeln eingeschränkt, die sprach- oder dialektspezifisch auftreten. Die Form dieser Regeln ist relativ einfach. Wir haben ein Phonem, das in einer bestimmten Umgebung eine bestimmte Eigenschaft annimmt.
 
Nun haben wir einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten, sprachliche Laute in Gruppen einzuteilen. Vielleicht hast du auch schon eine grobe Vorstellung, wie deine Phoneme aussehen könnten. Phoneme, deren Phone lediglich eine unterschiedliche Verbreitung haben, kannst du sogar bereits bauen. Allerdings sind die Phone eines Phonems meistens durch Regeln eingeschränkt, die sprach- oder dialektspezifisch auftreten. Die Form dieser Regeln ist relativ einfach. Wir haben ein Phonem, das in einer bestimmten Umgebung eine bestimmte Eigenschaft annimmt.
  
Formal wird diese Regel so aufgeschrieben: A → B / X__Y<br/>
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Formal wird diese Regel so aufgeschrieben:  
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A → B / X__Y
 
(A wird zu B in der Umgebung nach X und vor Y)<br/>
 
(A wird zu B in der Umgebung nach X und vor Y)<br/>
 
X und Y können dabei bestimmte Laute mit bestimmten Merkmalen sein oder Silben- Morphem- oder Wortgrenzen.<sup>*</sup> Silben werden dabei als $ dargestellt, Morpheme als + und Wörter als #.  
 
X und Y können dabei bestimmte Laute mit bestimmten Merkmalen sein oder Silben- Morphem- oder Wortgrenzen.<sup>*</sup> Silben werden dabei als $ dargestellt, Morpheme als + und Wörter als #.  
  
Eine anschauliche Regel ist die Auslautverhärtung im Deutschen: /b d g v z ʒ/ → [p t k f s ʃ] / __$<br/>
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Eine anschauliche Regel ist die Auslautverhärtung im Deutschen:
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/b d g v z ʒ/ → [p t k f s ʃ] / __$
 
Diese Regel besagt, dass die Phoneme zwischen den Schrägstrichen / am Ende einer Silbe jeweils als die Phone realisiert werden, die in den eckigen Klammern stehen.<br/>
 
Diese Regel besagt, dass die Phoneme zwischen den Schrägstrichen / am Ende einer Silbe jeweils als die Phone realisiert werden, die in den eckigen Klammern stehen.<br/>
Wer nun nach oben zu den Unterscheidungsmerkmalen guckt, sieht, dass es sich jeweils um stimmhafte Obstruenten handelt, und diese die Merkmale [-son, +sth] tragen (also keine Sonoranten und nicht stimmlos sind). Wir können also verallgemeinert schreiben: [-son, +sth] → [-sth] / __$<br/>
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Wer nun nach oben zu den Unterscheidungsmerkmalen guckt, sieht, dass es sich jeweils um stimmhafte Obstruenten handelt, und diese die Merkmale [-son, +sth] tragen (also keine Sonoranten und nicht stimmlos sind). Wir können also verallgemeinert schreiben:
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[-son, +sth] → [-sth] / __$
 
Also alle Laute, die die Merkmale [-son] und [+sth] tragen, werden am Ende einer Silbe stimmlos. Und da wir sehen, dass [+/-sth] das Merkmal ist, das geändert wird, können wir auch noch kürzer [-son] → [-sth] / __$ schreiben, da stimmlose Laute dadurch einfach nicht verändert werden.
 
Also alle Laute, die die Merkmale [-son] und [+sth] tragen, werden am Ende einer Silbe stimmlos. Und da wir sehen, dass [+/-sth] das Merkmal ist, das geändert wird, können wir auch noch kürzer [-son] → [-sth] / __$ schreiben, da stimmlose Laute dadurch einfach nicht verändert werden.
  
Die Regeln dürfen bunt gemischt werden, was die Merkmale und die lautlichen Darstellungen angeht. Phone werden genau wie die Merkmale in eckigen Klammern geschrieben und Phoneme zwischen zwei Schrägstrichen gesetzt. Suche dir am besten immer die Darstellung, die am kürzesten ist. Ein Phonem und ein Phon sind quasi Abkürzungen, um eine bestimmte Menge an Merkmalen aufzuschreiben. Du solltest dir nur vor allem bei den Phonemen darüber klar sein, welche Merkmale dahinter stecken.
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Die Regeln dürfen bunt gemischt werden, was die Merkmale und die lautlichen Darstellungen angeht. Phone werden genau wie die Merkmale in eckigen Klammern geschrieben und Phoneme zwischen zwei Schrägstrichen gesetzt. Suche dir am besten immer die Darstellung, die am kürzesten ist. Ein Phonem und ein Phon sind quasi Abkürzungen, um eine bestimmte Menge an Merkmalen aufzuschreiben. Du solltest dir nur vor allem bei den Phonemen darüber klar sein, welche Merkmale dahinter stecken. Wenn du einen beliebigen Laut brauchst, kannst du einfach Großbuchstaben nehmen, die den Laut repräsentieren. Dabei hat es sich eingebürgert, wenn es sich um einen Vokal handelt, ein V und wenn es sich um einen Konsonanten handelt, ein C zu schreiben, aber das kannst du halten, wie du willst.
  
 
Auf die gleiche Weise kann übrigens auch sprachgeschichtlicher Lautwandel dargestellt werden.
 
Auf die gleiche Weise kann übrigens auch sprachgeschichtlicher Lautwandel dargestellt werden.
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===Phonemische Prozesse===
 
===Phonemische Prozesse===
 
Neben der Auslautverhärtung gibt es noch andere phonemische Prozesse. Damit sind Veränderungen gemeint, die generell in Sprachen ablaufen können. Die Regeln lassen sich daher in die einzelnen Prozesse eingliedern.
 
Neben der Auslautverhärtung gibt es noch andere phonemische Prozesse. Damit sind Veränderungen gemeint, die generell in Sprachen ablaufen können. Die Regeln lassen sich daher in die einzelnen Prozesse eingliedern.
*'''Angleichung und Entähnlichung:'''<br/>Diese beiden Prozesse sind die häufigsten. Befindet sich ein Laut in der Nähe eines anderen Lautes, so kann sich dieser zugunsten der einfacheren Aussprache oder der besseren Verständlichkeit verändern. Es werden also ein oder mehrere Merkmale eines Lautes angepasst. Bei der Angleichung übernimmt der eine Laut Merkmale des angrenzenden Lautes. Wobei der angrenzende Laut nicht direkt angrenzen muss, sondern auch mehrere Laute entfernt sein kann. Ein Beispiel für die Angleichung im Deutschen ist, dass aus der Vorsilbe "an", wenn ein [b] folgt, [am] wird. Allgemeiner können wir sagen, aus einem [n] wird ein [m] wenn ein bilabialer, nicht kontinuierlicher Laut folgt: [KOR, +nas] → [LAB] / __[LAB, -kont]. Da die Regel auch bei einem folgenden [p] oder [m] funktioniert, ist die Regel so auch vollständig. Beim [m] wird das [n] sogar komplett angeglichen, sodass es nicht mehr vom [m] zu trennen ist.<br/>Natürlich kann die Angleichung auch in die umgekehrte Richtung verlaufen, also dass der vorhergehende Laut den nachfolgenden Laut verändert.<br/>Ein anderes Beispiel für die Angleichung ist die Vokalharmonie, wie sie zum Beispiel im Türkischen existiert. Hierbei sind die Laute, die angeglichen werden, nicht direkt beieinander, sondern in verschiedenen Silben zu finden. Der Plural kann im Türkisch die Endung "lar" oder "ler" haben, was davon abhängt, wie der vorhergehende Vokal ist: [-kons, +appr] → [-hint] / V[-kons, +appr, -hint]•X<sub>1</sub>__ (Ein nicht konsonantischer, approximantischer Laut wird zu einem vorderen Laut, wenn der nächste nicht konsonantische, approximantische Laut vorne gebildet wird.) Der Punkt ist bei dieser Regel nur der Übersichtlichkeit halber eingefügt, die kleine 1 bedeutet, dass mindestens ein Laut dazwischen liegt.<br/>Die Entähnlichung funktioniert genau analog zur Angleichung und wird meistens eingesetzt, um einen Kontrast deutlicher zu machen, wie dies bei dem Wort "sechs" der Fall ist: /x/ → [k] / __[s] (Aus dem Phonem /x/ wird ein [k], wenn ein [s] folgt.)
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; Angleichung und Entähnlichung:
*'''Einfügung und Tilgung:'''<br/>Die Begriffe sagen es schon, hierbei werden Laute eingefügt oder entfernt. Als Beispiel für die Einfügung kann man die rheinische Schwa-Einfügung nehmen: Ø → [ə] / [+kons, +son]__[f, ç]<br/>Hierbei wird ein Schwa eingefügt (aus Nichts (Ø) wird [ə]), wenn ein konsonantischer, sonoranter Laut (also /m/, /n/, /l/ und /r/ und theoretisch auch das /ŋ/, nur dass das aufgrund anderer Regeln so nicht vorkommt) und ein [f] oder [ç] aufeinander folgen.  
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: Diese beiden Prozesse sind die häufigsten. Befindet sich ein Laut in der Nähe eines anderen Lautes, so kann sich dieser zugunsten der einfacheren Aussprache oder der besseren Verständlichkeit verändern. Es werden also ein oder mehrere Merkmale eines Lautes angepasst. Bei der Angleichung übernimmt der eine Laut Merkmale des angrenzenden Lautes. Wobei der angrenzende Laut nicht direkt angrenzen muss, sondern auch mehrere Laute entfernt sein kann. Ein Beispiel für die Angleichung im Deutschen ist, dass aus der Vorsilbe "an", wenn ein [b] folgt, [am] wird. Allgemeiner können wir sagen, aus einem [n] wird ein [m] wenn ein bilabialer, nicht kontinuierlicher Laut folgt:
*'''Neutralisierung:'''<br/> (Auslautverhärtung)
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[KOR, +nas] → [LAB] / __[LAB, -kont]
*'''Vertauschen:<br/>Metathese
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: Da die Regel auch bei einem folgenden [p] oder [m] funktioniert, ist die Regel so auch vollständig. Beim [m] wird das [n] sogar komplett angeglichen, sodass es nicht mehr vom [m] zu trennen ist.<br/>Natürlich kann die Angleichung auch in die umgekehrte Richtung verlaufen, also dass der vorhergehende Laut den nachfolgenden Laut verändert.<br/>Ein anderes Beispiel für die Angleichung ist die Vokalharmonie, wie sie zum Beispiel im Türkischen existiert. Hierbei sind die Laute, die angeglichen werden, nicht direkt beieinander, sondern in verschiedenen Silben zu finden. Der Plural kann im Türkisch die Endung "lar" oder "ler" haben, was davon abhängt, wie der vorhergehende Vokal ist:
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[-kons, +appr] → [-hint] / V[-kons, +appr, -hint]•C<sub>1</sub>__
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: (Ein nicht konsonantischer, approximantischer Laut wird zu einem vorderen Laut, wenn der nächste nicht konsonantische, approximantische Laut vorne gebildet wird.) Der Punkt ist bei dieser Regel nur der Übersichtlichkeit halber eingefügt, die kleine 1 bedeutet, dass mindestens ein Laut dazwischen liegt.<br/>Die Entähnlichung funktioniert genau analog zur Angleichung und wird meistens eingesetzt, um einen Kontrast deutlicher zu machen, wie dies bei dem Wort "sechs" der Fall ist:
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/x/ → [k] / __[s]
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: (Aus dem Phonem /x/ wird ein [k], wenn ein [s] folgt.)
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; Einfügung und Tilgung:
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: Die Begriffe sagen es schon, hierbei werden Laute eingefügt oder entfernt. Als Beispiel für die Einfügung kann man die rheinische Schwa-Einfügung nehmen:
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Ø → [ə] / [+kons, +son]__[f, ç]
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: Hierbei wird ein Schwa eingefügt (aus Nichts (Ø) wird [ə]), wenn ein konsonantischer, sonoranter Laut (also /m/, /n/, /l/ und /r/ und theoretisch auch das /ŋ/, nur dass das aufgrund anderer Regeln so nicht vorkommt) und ein [f] oder [ç] aufeinander folgen. (Hier habe ich mir jetzt die lange Liste an Merkmalen gespart, die nötig wären, um [f] und [ç] als Gruppe darzustellen.
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: Für die Tilgung kann als Beispiel das Schwa vor einem Nasal im Deutschen gelten, wie etwa bei "reden". Das Schwa wird hier üblicherweise nur dann ausgesprochen, wenn man besonders deutlich spricht. Für die Alltagssprache können wir jedoch davon ausgehen, dass die zugrunde liegende Regel lautet:
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[ə] → Ø / __[+kons, +nas]
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: (Das Schwa wird getilgt vor einem konsonantischen, nasalen Laut.)
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: Im Übrigen handelt es sich bei der Ableitung von "ng" zum Laut [ŋ] nicht um eine Tilgung, auch wenn sich diese Behauptung ziemlich häufig im Internet findet. "ng" ist lediglich die orthographische Schreibweise des Phonems /ŋ/. Es liegt also eigentlich gar kein /g/ vor, obwohl uns die Rechtschreibung das vorgaukelt.
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; Neutralisierung:
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: Unter einer Neutralisierung ist die Aufhebung eines Kontrastes zu verstehen. Das heißt, an einer bestimmten Stelle können bestimmte Phoneme nicht mehr auseinander gehalten werden. Das bekannteste Beispiel für die Neutralisierung ist die Auslautverhärtung, wie sie oben bereits erwähnt wurde. Am Ende einer Einheit (im Deutschen ist das die Silbe), wird bei der Auslautverhärtung der Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Obstruenten neutralisiert. Ob "Rat" oder "Rad" gemeint ist, können wir nur aus dem Zusammenhang heraus erfahren, oder wenn wir das Wort so verändern, dass der letze Laut nicht mehr am Silbenende steht, beispielsweise durch die Pluralbildung. Bei "Räte" und "Räder" ist klar, welches Phonem dort jeweils steht.
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: Ein weiteres Beispiel für die Neutralisierung finden wir im Russischen. Hier wird aus "Лес" ['lɛs] (Wald) im Plural Леса [li'sa] (Wälder). Analog dazu geschieht das auch mit dem /ɔ/, das zu einem [a] wird. Die Regel lautet also:
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/ɛ ɔ/ → [i a] / _<u>[-betont]</u>_
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; Vertauschen:
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: Metathese
  
 
Notizen: Neutralisation, Phonotaktik
 
Notizen: Neutralisation, Phonotaktik

Version vom 4. Dezember 2012, 12:56 Uhr

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