Sprachliche Silbenstrukturen

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Eine Silbe ist eine Einheit der Sprache, die unabhängig von der Bedeutung ist. Morpheme, wie die kleinsten Bedeutungseinheiten von Sprachen genannt werden, können mehr als eine Silbe tragen, mitten in einer Silbe enden, oder sogar nur einen Teil einer Silbe bilden. Die Silbenstruktur bildet also eine zusätzliche Schicht, die über der Sprache liegt und mit verantwortlich ist, wie sie klingt. Wir kennen wahrscheinlich alle die Klatschübungen aus der Schule, wenn es darum ging, die Silben zu erkennen und die Wörter entsprechend richtig zu trennen.<br />
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Eine '''Silbe''' ist eine Einheit der Sprache, die unabhängig von der Bedeutung ist. Morpheme, wie die kleinsten Bedeutungseinheiten von Sprachen genannt werden, können mehr als eine Silbe tragen, mitten in einer Silbe enden, oder sogar nur einen Teil einer Silbe bilden. Die Silbenstruktur bildet also eine zusätzliche Schicht, die über der Sprache liegt und mit verantwortlich ist, wie sie klingt. Wir kennen wahrscheinlich alle die Klatschübungen aus der Schule, wenn es darum ging, die Silben zu erkennen und die Wörter entsprechend richtig zu trennen.
Betrachtet man die Silben genauer lassen sich bis zu drei Teile erkennen. Bei "Silbe" haben wir beispielsweise zwei Silben, "sil" und "be", wobei "sil" aus drei und "be" aus zwei Lauten besteht. Das Wort "streng" hat im Gegenteil dazu nur eine Silbe mit vier Lauten ("ng" steht für einen Laut [ŋ]). Vergleichen wir diese drei Silben, fällt auf, dass sie alle einen Vokal beinhalten. Das können wir auch dann feststellen, wenn wir uns andere Silben ansehen. Eine Silbe hat immer einen Vokal, zumindest in den meisten Sprachen der Welt. Natürlich gibt es, wie so oft, wenn es um Sprachen geht, Ausnahmen, zum Beispiel in einigen russischen Dialekten. Aber selbst wenn wir uns diese Ausnahmen ansehen, stellen wir fest, dass auch diese recht eingeschränkt sind und nur Sonoranten einschließen kann, also Laute, die von sich aus in der Regel nur stimmhaft vorkommen. Solche Silben ohne Vokale können auch in deutschen Texten auftauchen, wenn wir nicht gerade Bühnendeutsch sprechen. So wird beispielsweise aus "sprechen" "sprechn" mit der Endsilbe "chn". Das [n] übernimmt dann den Part des Vokals.
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Worauf ich aber hinaus wollte, ist, dass es immer einen '''Kern''' gibt, einen Teil der Silbe, der Betonungen und Töne aufnehmen kann. Dieser Kern ist das Zentrum jeder Silbe und kann von weiteren Lauten umgeben werden, sowohl vorne, als auch hinten. Eine komplette Silbe kann also aus einem '''Anfang''', bestehend aus (mehreren) Konsonanten, einem Kern, der meistens aus einem Vokal besteht, und einem '''Ende''' bestehen, das ebenfalls wie der Anfang aus mehreren Konsonanten bestehen kann. Da im Anfang und Ende oft die gleichen Laute vorkommen können, werden sie zusammen auch als '''Silbenschale''' bezeichnet.<br />
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Betrachtet man die Silben genauer, lassen sich bis zu drei Teile erkennen. Bei "Silbe" haben wir beispielsweise zwei Silben, "sil" und "be", wobei "sil" aus drei und "be" aus zwei Lauten besteht. Das Wort "streng" hat im Gegenteil dazu nur eine Silbe mit fünf Lauten ("ng" steht für einen Laut [ŋ]). Vergleichen wir diese drei Silben, fällt auf, dass sie alle einen Vokal beinhalten. Das können wir auch dann feststellen, wenn wir uns andere Silben ansehen. Eine Silbe hat immer einen Vokal, zumindest in den meisten Sprachen der Welt. Natürlich gibt es, wie so oft, wenn es um Sprachen geht, Ausnahmen, zum Beispiel in einigen russischen Dialekten. Aber selbst wenn wir uns diese Ausnahmen ansehen, stellen wir fest, dass auch diese recht eingeschränkt sind und nur Sonoranten einschließen kann, also Laute, die von sich aus in der Regel nur stimmhaft vorkommen. Solche Silben ohne Vokale können auch in deutschen Texten auftauchen, wenn wir nicht gerade Bühnendeutsch sprechen. So wird beispielsweise aus "sprechen" "sprechn" mit der Endsilbe "chn". Das [n] übernimmt dann den Part des Vokals.
Oder kurz ausgedrückt, ist das Schema einer Silbe KVK. Das unterscheidet sich je nach Sprache, so gibt es etwa im Japanisch kein Ende und auch die Chinesen können höchstens Nasale als Ende verwenden. Auch der Anfang muss nicht besetzt sein, wie die zweite Silbe in "Chaos" zeigt. Auf der anderen Seite können für Anfang und Ende bis zu vier Konsonanten stehen. Im Deutschen sind jeweils bis zu drei Konsonanten möglich, wie das im Paradebeispiel "Strumpf" der Fall ist.<br />
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An diesem Beispiel ist auch noch ein anderer Punkt ganz interessant. Es widerspricht nämlich einer Regel, von der immer wieder zu lesen ist, dass sie universell sei, also immer vorkäme. Diese als Sonoritätshierarchie bezeichnete Regel besagt, dass bestimmte Laute eine höhere Sonorität haben als andere und die Sonorität zum Silbenkern hin zunimmt. Die Sonorität ist keine messbare Einheit, sondern wurde aus der Beobachtung heraus gebildet, dass normalerweise und bei den meisten Sprachen tatsächlich grundsätzlich bestimmte Laute näher am Silbenkern stehen als andere. Diesen daraus abgeleiteten Lautklassen wurden dann einfach Nummern gegeben:<br />
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Worauf ich aber hinauswollte, ist, dass es immer einen '''Kern''' gibt, einen Teil der Silbe, der Betonungen und Töne aufnehmen kann. Dieser Kern ist das Zentrum jeder Silbe und kann von weiteren Lauten umgeben werden, sowohl vorne als auch hinten. Eine komplette Silbe kann also aus einem '''Anfang''', bestehend aus einem oder mehreren Konsonanten, einem Kern, der meistens aus einem Vokal besteht, und einem '''Ende''' bestehen, das ebenfalls wie der Anfang aus einem oder mehreren Konsonanten bestehen kann. Da im Anfang und Ende oft die gleichen Laute vorkommen können, werden sie zusammen auch als '''Silbenschale''' bezeichnet.
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Oder kurz ausgedrückt, ist das Schema einer Silbe KVK. Das unterscheidet sich je nach Sprache, so gibt es etwa im Japanisch kein Ende und auch die Chinesen können höchstens Nasale als Ende verwenden. Auch der Anfang muss nicht besetzt sein, wie die zweite Silbe in "Chaos" zeigt. Auf der anderen Seite können für Anfang und Ende auch mehrere Konsonanten stehen. Im Deutschen sind jeweils bis zu drei Konsonanten möglich, wie das im Paradebeispiel "Strumpf" der Fall ist. Das ist im Vergleich zu den allermeisten anderen Sprachen schon sehr viel, aber z.B. im Georgischen gibt es einzelne Wörter wie ''mts'vrtneli'' ("Trainer"), in denen Silbenanfänge mit sechs bis acht Konsonanten vorkommen. (Wobei durchaus umstritten ist, ob in solchen Fällen dann nicht doch z.B. das 'm' oder das 'r' als Kopf einer eigenen unbetonten Silbe angesehen werden müssten.)
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An diesen Beispielen ist auch noch ein anderer Punkt ganz interessant. Sie widersprechen nämlich einer Regel, von der immer wieder zu lesen ist, dass sie universell sei, also immer vorkäme. Diese als '''Sonoritätshierarchie''' bezeichnete Regel besagt, dass bestimmte Laute eine höhere Sonorität haben als andere und die Sonorität zum Silbenkern hin zunimmt. Die Sonorität ist keine messbare Einheit, sondern wurde aus der Beobachtung heraus gebildet, dass normalerweise und bei den meisten Sprachen tatsächlich grundsätzlich bestimmte Laute näher am Silbenkern stehen als andere. Diesen daraus abgeleiteten Lautklassen wurden dann einfach Nummern gegeben:<br />
 
#Plosive
 
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#Frikative (und Affrikaten)
 
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#Approximanten
 
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#Vokale
 
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Eine häufige Verletzung dieser Regel in den europäisch-indogermanischen Sprachen sind die Lautkombinationen [st] und [ʃt], wie in englisch "stone" oder in unserem Beispiel "Strumpf". (Die Phonetiker machen es sich dabei übrigens meistens einfach und behaupten, diese Laute wären dann extrasilbisch, lägen also außerhalb der eigentlichen Silbe.) Als Faustregel lässt sich festhalten, je mehr Konsonanten den Silbenkern umgeben können, desto häufiger treten diese Verletzungen auf. Viele asiatische Sprachen, wie Mandarin oder Japanisch können beispielsweise gar nicht gegen die Hierarchie verstoßen, da sie maximal einen Konsonanten vor/nach dem Kern haben.
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Eine häufige Verletzung dieser Regel in den europäisch-indogermanischen Sprachen sind die Lautkombinationen [st] und [ʃt], wie in englisch "stone" oder in unserem Beispiel "Strumpf". (Die Phonetiker machen es sich dabei übrigens meistens einfach und behaupten, diese Laute wären dann extrasilbisch, lägen also außerhalb der eigentlichen Silbe.) Als Faustregel lässt sich festhalten, je mehr Konsonanten den Silbenkern umgeben können, desto häufiger treten diese Verletzungen auf. Viele asiatische Sprachen wie Mandarin oder Japanisch können beispielsweise gar nicht gegen die Hierarchie verstoßen, da sie maximal einen Konsonanten vor bzw. nach dem Kern haben.
  
Silben voneinander zu trennen bildet für die meisten Menschen keine Schwierigkeiten. Zumindest meistens. Wollen wir nämlich untersuchen, wie die Silben in dem Wort "Mitte" aussieht, stoßen wir schnell auf das Problem, dass wir nicht sagen können, ob das [t] zur ersten oder zur zweiten Silbe gehört. Da kommt uns dann im Deutschen die Rechtschreibung entgegen und wir können Mit-te trennen. Allein von den Lauten ist aber tatsächlich nur ein [t] vorhanden. Dass nicht klar ist, zu welcher Silbe der Laut gehört, liegt daran, dass er tatsächlich zu beiden gehört. Liegt ein Laut nämlich zwischen zwei Silbenkernen, kann er zugleich das Ende und den Anfang der ihm umgebenden Silben bilden, und zwar immer dann, wenn der erste Silbenkern kurz ist. Entsprechend ist bei "Miete" eindeutig, dass das [t] zur zweiten Silbe gehört.
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Silben voneinander zu trennen bildet für die meisten Menschen keine Schwierigkeiten. Zumindest meistens. Wollen wir nämlich untersuchen, wie die Silbenstruktur in dem Wort "Mitte" aussieht, stoßen wir schnell auf das Problem, dass wir nicht sagen können, ob das [t] zur ersten oder zur zweiten Silbe gehört. Da kommt uns dann im Deutschen die Rechtschreibung entgegen und wir können Mit-te trennen. Allein von den Lauten her ist aber tatsächlich nur ein [t] vorhanden. Dass nicht klar ist, zu welcher Silbe der Laut gehört, liegt daran, dass er tatsächlich zu beiden gehört. Liegt ein Laut nämlich zwischen zwei Silbenkernen, kann er (im Deutschen) zugleich das Ende und den Anfang der ihm umgebenden Silben bilden, und zwar immer dann, wenn der erste Silbenkern kurz ist. Entsprechend ist bei "Miete" eindeutig, dass das [t] zur zweiten Silbe gehört.
  
Für eine Sprache kann aber nicht nur die Silbe interessant sein, sondern auch die '''More'''. Eine Silbe kann aus einer oder zwei Moren bestehen (oder sogar aus drei, aber das ist sehr selten), was davon abhängt, wie lang die Silbe ist. Eine aus einer More bestehende Silbe ist kurz und hat kein Silbenende. Hat eine Silbe dagegen einen langen Kern und/oder ein Ende, besteht sie aus zwei Moren. Wofür ist diese Unterteilung wichtig? Es gibt Sprachen, in denen sich ein paar phonologische Regeln auf die Moren anstatt auf Silben beziehen. Vor allem Töne (also bei Tonsprachen) basieren oft (aber nicht in allen Sprachen) auf Moren.
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Für eine Sprache kann aber nicht nur die Silbe interessant sein, sondern auch die '''More'''. Eine Silbe kann aus einer oder zwei Moren bestehen (oder sogar aus drei, aber das ist sehr selten), was davon abhängt, wie lang die Silbe ist. Eine aus einer More bestehende Silbe ist kurz und hat kein Silbenende. Hat eine Silbe dagegen einen langen Kern und/oder ein Ende, besteht sie aus zwei Moren. Wofür ist diese Unterteilung wichtig? Es gibt Sprachen, in denen sich ein paar phonologische Regeln auf die Moren anstatt auf die Silben beziehen. Vor allem Töne (also bei Tonsprachen) basieren oft (aber nicht in allen Sprachen) auf Moren.

Version vom 22. Juli 2013, 10:48 Uhr

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