24.12.2019, 16:26
Ups, jetzt hätte ich doch beinahe das Türchen vergessen.
Hier kommt nun der 4. Teil. Viel Spaß beim Lesen!
Liam saß an seinem Arbeitsplatz in der Botschaft und widmete sich den Dingen, die er in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Da’an hatte alle gegenwärtigen Termine abgesagt, damit er schnell agieren konnte, sollte Zo’or in Gefahr geraten. Der junge Mann hatte nichts gegen einen ruhigen Nachmittag, wenn ihm auch ein freier Tag lieber gewesen wäre.
„Ich sollte Augur anrufen“, überlegte er laut. Er hatte das bisher vor sich hergeschoben, weil ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, den Freund so überrumpelt zu haben. Ob es ein gutes Zeichen war, dass sich Augur bisher noch nicht gemeldet hatte? Er atmete durch und öffnete das Global. Das Gesicht des Hackers erschien auf dem kleinen Monitor und es wirkte alles andere als freundlich. Eigentlich war es sogar recht finster. „Ich wollte mal sehen, wie es dir so geht“, begann Liam vorsichtig.
„Na, was denkst du wohl?“, brummte der dunkelhäutige Mann.
Liam rutschte unbehaglich auf dem Stuhl herum. „Tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe.“
„Ja, das war wirklich nicht nett.“ Augurs Stirn furchte sich bedenklich. Jetzt würde wohl er mit einer ordentlichen Standpauke loslegen. Doch dann klatschte er plötzlich in die Hände und zeigte ein breites Lachen, das von einem Ohr bis zum anderen reichte. „Ha, reingelegt! Keine Sorge. Es läuft alles ganz prima.“
„Ich will auch“, erklang im Hintergrund Zo’ors Stimme. Das Gesicht des Taelons schob sich in den Erfassungsbereich der Kamera. „Hallo, Liam Kincaid!“, sagte er, als den Companionbeschützer erkannte. „Augur und ich sind jetzt Freunde.“
„Freunde?“, wiederholte Liam ungläubig. Augur warf ihm ein paar bedeutungsvolle Blicke zu, die wohl ausdrücken sollten, dass man diese Bemerkung nicht allzu ernst nehmen sollte. Wo käme man denn hin, wenn er als ein großartiger Hacker und treues Mitglied des Widerstandes mit dem Feind fraternisieren würde!
Liam lachte erleichtert auf, denn er hatte Augur längst durchschaut. Sicher war er ein egozentrischer, egoistischer und größenwahnsinniger Mann, aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck.
„Liam Kincaid, weißt du, was Augur und ich gemacht haben?“, plauderte Zo’or plötzlich los. „Wir haben…“
„Ach, weißt du, ich denke, dass interessiert Liam nicht wirklich“, fiel ihm Augur rasch ins Wort und wirkte ein wenig erschrocken. Liam kam nicht mehr dazu, nachzuhaken, denn in diesem Augenblick hörte er das Geräusch eines sich öffnenden Portals. „Ich muss Schluss machen!“, rief er ins Global und schloss es.
Schritte draußen auf dem Korridor, der von dem Raum mit dem Portal zu ihnen führte, waren zu hören. Dann zeigte sich die Gestalt Ronald Sandovals in Begleitung zweier Freiwilliger.
„Sandoval!“, rief Liam. „Ich wundere mich. Sie haben das Portal benutzt, das auf Ihren Befehl hin deaktiviert wurde.“
Der Agent kam langsam näher. Sein Blick wirkte unschuldig. „Komische Sache. Ich habe mir heute die Protokolle der Portalbehörde angesehen und musste feststellen, dass es gestern ebenfalls benutzt wurde. Da frage ich mich, ob es vielleicht für Zo’or aktiviert wurde und ob die Protokolle deshalb von Ihnen gelöscht wurden.“
Liam versuchte ruhig zu bleiben. Er brauchte jetzt dringend eine glaubhafte Erklärung oder eine gute Taktik.
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Sie haben für Zo’or das Portal aktiviert oder wissen doch zumindest, dass er hindurchgegangen ist. Schließlich haben Sie ja die Protokolle gelöscht. Dennoch wollen Sie mir weismachen, dass Sie keinerlei Ahnung haben, wo er sich aufhält.“
„Es ist nicht so, wie Sie denken, Sandoval.“
„Sicher, das ist es ja nie.“ Der FBI-Agent gab seinen Sicherheitsleuten ein Zeichen. „Aber Sie sollen die Möglichkeit zu einer Erklärung haben. Entweder hier und jetzt oder auf dem Mutterschiff. Es liegt bei Ihnen.“
„Stehe ich etwa unter Verdacht?“
„Wie ich schon sagte, es liegt bei Ihnen.“
„Das ist doch absurd“, sagte Liam. „Sie tun gerade so, als ob hier ein Verbrechen begangen worden ist. Zo’or hat sich eine Auszeit genommen oder hat irgendeinen Termin, eine Verabredung, die nicht bekannt werden soll. Er ist nicht in Gefahr und wurde auch nicht entführt. Andernfalls hätte die Synode uns alarmiert. Sie verhalten sich paranoid.“
„Wenn alles so simpel ist, können Sie mir auch verraten, wohin Zo’or gereist ist.“
„Das kann ich nicht.“
Sandoval verzog den Mundwinkel zu einem verächtlichen Grinsen. „Ich bin Zo’ors rechte Hand und ausgerechnet Sie werden ins Vertrauen gezogen? Sie waren mir schon immer suspekt, Kincaid, nur hatte ich leider nie etwas gegen Sie in der Hand. Ein Major, der plötzlich aus dem Nichts erscheint, genau zu dem Zeitpunkt, an dem Da’ans bisheriger Beschützer stirbt. Sie werden nicht implantiert und kritisieren die Taelons öffentlich. Da frage ich mich doch, ob Sie nicht in Wirklichkeit...“
„Schluss damit!“, ertönte in diesem Augenblick Da’ans Stimme. Der Taelon stand oben am Ende des Ganges, der zu seinen Privaträumen führte. Langsam kam er zu ihnen herunter, stellte sich vor Sandoval und sah ihn durchdringend an. „Zo’or befindet sich an einem sicheren Ort und ist nicht in Gefahr.“
Einige Sekunden lang wusste Ronald nicht, was er sagen sollte.
„Und warum werde ich nicht eingeweiht?“, fragte er schließlich verwirrt.
„Weil Sie implantiert sind“, antwortete Da’an. „Das CVI lässt Sie nicht lügen. Sie hätten Zo’ors Aufenthaltsort an T’than verraten, weil der Motivationsimperativ Sie dazu gezwungen hätte.“
„Ich verstehe.“
Sandoval dachte scharf nach. Seine Neugierde war jetzt größer denn je.
„Ich denke, Ihnen bleibt jetzt nichts anderes übrig, als mich einzuweihen“, sagte er. „Ich bin der Sicherheitschef, und ich muss davon ausgehen, dass Sie hier einer konspirativen Tätigkeit nachgehen, die die Führung der Taelongemeinschaft ernsthaft in Gefahr bringt.“
„Sandoval!“, rief Liam warnend. „Da’an ist immer noch ein Mitglied der Synode und somit ihr Vorgesetzter.“
Der Asiate sah ihn ausdruckslos an.
„Mein CVI zwingt mich, der Angelegenheit nachzugehen, Major. Wenn Sie mir Zo’ors Aufenthaltsort nicht verraten können oder mir die Möglichkeit gewähren, mich von seiner Sicherheit persönlich zu überzeugen, bin ich gezwungen, die Synode darüber zu informieren.“
Liam wechselte einen Blick mit Da’an. Wenn die Synode eingeschaltet wurde, könnte es für sie brenzlig werden.
Der Außerirdische nickte bedächtig.
„Zo’or hat sich erneut mit dem Pesh’tal-Virus infiziert“, gestand er schließlich.
Zunächst sagte Sandoval gar nichts. Diese Nachricht musste er erst einmal sortieren.
„Das ist nicht möglich. Mit’gai hat diese Krankheit erfolgreich bekämpft. Er sprach davon, dass sie ausgerottet sei und sich die Taelons nicht mehr infizieren könnten.“
„Und dennoch ist es geschehen.“
Sandoval überlegte erneut. „Wieso befindet sich Zo’or dann nicht in Behandlung? Wieso versteckt er sich?“
Jetzt übernahm Liam das Wort. „Weil wir davon ausgehen müssen, dass die Synode Zo’or als unheilbar ansieht. Dabei wissen wir nicht einmal, wie er sich überhaupt infiziert hat.“
„Doch, das wissen wir!“, fiel ihm der Asiate ins Wort. Beinahe triumphierend sah er seinen Kollegen und Da’an an. „Und ich weiß auch, wer dahintersteckt.“ Er genoss sichtbar den Moment, in dem er neugierig und erwartungsvoll angeschaut wurde. Dann ließ er die Bombe platzen. „T’than und Mit’gai.“
„T’than und Mit’gai“, wiederholte Liam spöttisch.
„Wir wissen, dass T’than darauf aus ist, Zo’or als Synodenführer abzulösen, und ebenso wissen wir, dass er seit einiger Zeit einzelne Taelons auf seine Seite zu ziehen sucht. Er hat ein Motiv, so viel steht fest.“ Sandoval zog sein Global hervor, um eine Audioaufzeichnung abzuspielen, die er heimlich von T’thans Besuch bei Mit’gai gemacht hatte. „Ich habe hier den Beweis.“
Aufmerksam hörten Liam und Da’an zu. „Daraus eine Verschwörung zu machen, ist schon ziemlich wagemutig“, sagte Liam skeptisch. „Außerdem ist Mit’gai dafür bekannt, dass er keinerlei politische Ambitionen hat und sich neutral verhält.“
„Das mag für die Vergangenheit zutreffen, aber er hat vielleicht seine Meinung geändert.“
„Was werden Sie jetzt unternehmen?“, fragte Da’an besorgt.
„Ich werde T’than zur Rede stellen.“
„Halt! Warten Sie!“, rief Liam. „T’than ist nicht irgendein Taelon, er ist der Kriegsminister. Wenn er zu Unrecht beschuldigt wird, könnte das ernsthafte Konsequenzen haben.“
„Und ich bin der Sicherheitschef“, erwiderte Sandoval hochmütig. „Sie können sich mir anschließen oder aus der Ferne zuschauen, wenn Ihnen das lieber ist.“ Er gab seinen Leuten ein Zeichen und marschierte Richtung Portal.
„Ich werde ihm folgen!“, sagte Liam und wollte sich in Bewegung setzen. Sein Companion hielt ihn zurück. „Wir wissen nicht, welche Ereignisse Sandoval auslöst. Bringen Sie Zo’or hierher in die Botschaft. Wir können nicht riskieren, dass er bei Ihrem Freund gefunden wird.“
„Dazu muss ich Augur nur anrufen.“
„Nein, es ist besser, wenn Sie hierbleiben. Wenn Sandoval falsch liegt, wird es einen sehr zornigen T’than geben, und da möchte ich Sie doch lieber aus der Schusslinie haben. Ich werde selbst auf das Mutterschiff gehen.“
Sandoval stand vor der Tür zu T’thans Quartier und verlangte Einlass. Das lebende Gewebe des Mutterschiffes erkannte ihn an seinem CVI. Dennoch blieb das Quartier verschlossen.
„T’than, lassen Sie uns herein! – Zwingen Sie mich nicht, entsprechende Maßnahmen einzuleiten.“
Sandovals befehlender Ton zeigte Wirkung. Die Tür öffnete sich, doch anstatt T’than erschien Mit’gai. „Mr. Sandoval, was hat dieser Auftritt zu bedeuten?“
„Ich muss T’than sprechen. Umgehend!“
„Das ist nicht möglich. T’than möchte nicht gestört werden.“
„Er wird es hinnehmen müssen!“
„Das wird er nicht.“
In Sandovals Gesicht zuckte es bedenklich. „Als Sicherheitschef wurde ich von Zo’or persönlich autorisiert, mir Zutritt zu jedem Raum zu verschaffen, wenn ich es als notwendig erachte. Also gehen Sie mir aus dem Weg!“ Als Mit’gai nicht reagierte, schob er den Taelon kurzerhand beiseite und stürmte mit seinen Sicherheitsleuten das Quartier.
Wie alle taelonischen Räumlichkeiten war auch T’thans privater Bereich eher spartanisch eingerichtet. Es gab einen Energiestuhl und einige Konsolen, die aus dem Boden wuchsen. Sandoval erkannte sie als medizinische Überwachungs- und Operationsstationen. Jetzt wusste er, dass er richtiglag.
„Ich muss Sie bitten, zu gehen“, sagte Mit’gai. „T’than ist unpässlich und kann Sie nicht empfangen.“
„Das interessiert mich nicht“, sagte Sandoval hart und stürmte den nächsten Raum in der Gewissheit, nicht nur eine Bedrohung der Taelongemeinschaft ausgeschaltet, sondern insbesondere das Leben des Synodenführers gerettet zu haben. „T’than!“, wollte er rufen, doch er kam nicht über das „T“ hinaus. Perplex blickte er auf den Taelon, der auf einer Art Tisch lag. Der Außerirdische hatte seine menschliche Form aufgegeben. Dort, wo sich beim Menschen das Gesäß befand, zeigten sich dicke Blasen. Sie wogten und waberten wie Seifenblasen und Sandoval rechnete instinktiv damit, dass sie jeden Augenblick platzten. Die Energiebahnen, die sich durch den Körper zogen, leuchteten an einigen Stellen rot auf.
„Ist das Pesh’tal?“, fragte er Mit’gai, der neben ihn trat.
„Nein. Wie ich bereits erwähnte, es handelt sich um eine kleine Unpässlichkeit.“
Sandoval zerrte an seiner Krawatte, die ihm den Hals zuschnürte. Was gäbe er darum, sich jetzt in Luft aufzulösen oder einfach die Zeit zurückdrehen zu können. Hatte er kurz die vage Hoffnung, der vor ihm liegende Taelon sei gar nicht T’than, wurde diese sehr abrupt vernichtet. Der Außerirdische nahm seine menschliche Form an und wurde zum Kriegsminister. „Das wird ein Nachspiel haben, Mr. Sandoval!“, zischte er böse.
Ronald hatte es jetzt sehr eilig, das Quartier zu verlassen. Draußen auf dem Korridor atmete er tief durch, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. Er war zu sehr Profi, um sich aus der Fassung zu bringen. Vielleicht war das Ganze ein abgekartetes Spiel, eine raffinierte Inszenierung, um ihn auf die falsche Fährte zu locken.“
Inzwischen war auch Da’an eingetroffen. Er unterhielt sich kurz mit Mit’gai und trat dann an Sandovals Seite. Ein wenig mitleidig sah er seinen früheren Beschützer an. „Das war wohl eine etwas unglückselige Aktion.“
„Wieso?“, erwiderte der Asiate beinahe trotzig. „Er könnte dennoch für den Angriff auf Zo’or verantwortlich sein.“
Da’ans Blick wurde noch mitleidiger. „T’than leidet an Li’thum. Das ist eine Krankheit, die nur sehr alte Taelons befällt. Es ist vergleichbar mit dem menschlichen Klimakterium. Es bringt den Energiehaushalt durcheinander.“
„Wechseljahre?“, würgte Sandoval hervor. Er sah seinen Kopf bereits rollen. Diese Blamage der Bloßstellung würde ihm T’than niemals verzeihen. „Ich geh ... zurück auf die Brücke“, murmelte er.
Da’an nickte. „Das wird wohl das Beste sein.“
„T’than leidet an den Wechseljahren?“ Liam hatte Mühe, nicht loszulachen. „Ich möchte nicht in Sandovals Haut stecken. Wenn er schlau ist, nimmt er Urlaub und das am besten so lange, bis T’than uns wieder verlässt.“ Als er merkte, dass sein Companion nachdachte, wurde er wieder ernst. „Was ist los, Da’an?“
„Li’thum tritt nicht spontan auf. Es ist ein Prozess, der sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt. Nach den Symptomen zu urteilen, die T’than derzeit aufweist, müsste er sich in einem fortgeschrittenen Stadium befinden. In diesem Fall hätte er sich aber bereits vor Monaten aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.“
„Was soll’s.“ Liam zuckte mit den Achseln. „Sehen wir es positiv. Da sowohl Zo’or als auch T’than ausfallen, sind Sie jetzt am Zug, verehrter stellvertretender Synodenführer.“ Und er machte eine übertriebene Verbeugung.
Nach einem kurzen Abstecher auf die Brücke, bei dem sich Da’an nicht nehmen ließ, auch den Stuhl des Synodenführers auszuprobieren, kehrten er und Liam in die Botschaft zurück, um nach Zo’or zu sehen. Mit’gai hatte ihnen zugesichert, ihnen das Heilmittel in Kürze zu liefern.
Als sie die Shuttle-Rampe verließen – Da’an bestand auf die Fähre, um kein weiteres Aufsehen zu erregen –, erlebten sie eine große Überraschung. Im großen Empfangsraum, den der nordamerikanische Companion für seine Gäste benutzte, wimmelte es von Menschen. Männer und Frauen trugen Geschenkpakete herein, einige schmückten einen drei Meter hohen Weihnachtsbaum. Andere dekorierten die Wände mit Lichterketten und wiederum andere errichteten ein Buffet mit Kuchen, Weihnachtsplätzchen und vielen anderen Köstlichkeiten. Auf Da’ans Stuhl saß ein Weihnachtsmann und übte leise seinen Text.
Inmitten des Gewimmels stand Zo’or und koordinierte sehr zielstrebig alle Aktivitäten. Als er Da’an und Liam erblickte, eilte er rasch auf sie zu. „Ihr müsst wieder gehen. Ich bin noch nicht fertig.“
„Zo’or, was hat das zu bedeuten?“, fragte Da’an fassungslos.
„Eine Überraschung. Bitte, geht.“
Schmunzelnd schob Liam seinen Companion zum Ausgang.
„Tun wir ihm den Gefallen. Wir können ja in der Zwischenzeit das Heilmittel von Mit’gai holen.“
„Liam“, protestierte Da’an völlig verwirrt. „Was ist mit Zo’or geschehen?“
„Keine Sorge, das kriegen wir in den Griff. Es ist doch irgendwie ganz nett, einen freundlichen Zo’or zu erleben. Ich frage mich allerdings, wie er das hier alles so schnell besorgen konnte? Woher hat er das Geld?“
Während sie zum Mutterschiff flogen, wirkte Da’an sehr beunruhigt.
„Denken Sie, Zo’or ist...“
„Verrückt geworden? Nein. Machen Sie sich keine Sorgen um ihn, Da’an. Es mag seltsam sein, aber der Zo’or, der er jetzt ist, ohne die Erinnerung an sein Dasein als Synodenführer, ist ein Menschenfreund. Denken Sie an das junge Paar aus der Psychiatrie, denen er bei seiner ersten Pesh’tal-Infizierung begegnet ist. Er hat sich mit ihnen angefreundet. Schade nur, dass dieser Zustand nicht auf Dauer anhält.“
Da’an versank in seinen Gedanken. Plötzlich schreckte er hoch.
„Wir wissen noch immer nicht, wie sich Zo’or infizieren konnte. Wenn es nun doch ein Attentat war? Er hat viele Gegner. Seine Führungspolitik ist nicht umstritten. Es könnte wieder passieren. Auch andere Taelons könnten in Gefahr sein.“
„Wenn es ein Attentat war, dann ein schlecht ausgeführtes“, versuchte ihn Liam zu beruhigen. „Warten wir ab, was Mit’gai sagt. Er hat ein Heilmittel, vielleicht weiß er inzwischen mehr.“
Sie fanden Mit’gai in seinem Labor. In seinen Händen hielt er zwei kleine Fläschchen, eins war für Zo’or bestimmt und das andere für T’than. „Da du aktuell der Synodenführer bist“, sagte er zu Da’an, „liegt es an dir zu entscheiden, wann die beiden Streithähne auf die Brücke zurückkehren sollten. Ich habe die Ruhe auf jeden Fall genossen. Sie war eine Wohltat. Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn sie noch eine Weile anhielte.“ Damit kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück.
Liam und Da’an sahen sich an.
„Denken Sie gerade dasselbe wie ich?“, fragte der Beschützer.
„Ja.“ Der Taelon wirkte sehr überrascht. „Es ist schon ein seltsamer Zufall, dass ausgerechnet Zo’or und T’than aufgrund einer nicht lebensbedrohlichen Störung ausfallen und sonst niemand.“
„Dieser Schlingel.“ Liam grinste von einem Ohr zum anderen.
„Mit’gai“, sagte Da’an, „kann es sein, dass du deine Finger im Spiel hattest?“ Da’an liebte menschliche Redewendungen.
Ohne die Miene zu verziehen, erwiderte dieser ein wenig hochmütig: „Ich bin ein Heiler. Ich füge einem Taelon keinen Schaden zu.“
„Na ja, zu Schaden gekommen ist auch niemand“, warf Liam amüsiert ein. „Es hat allenfalls ein wenig am Stolz und an der Würde gekratzt.“
„Mit’gai“, Da’ans Stimme klang jetzt streng, „leidet T’than an Li’thum?“
Nach einem kurzen Zögern gestand der Heiler: „Ich muss zugeben, ich habe mich in der Diagnose geirrt. T’than ist von einer leichten Störung seines Energiekreislaufes betroffen. Kein Li’thum.“
„Und was ist mit Zo’or? Hat er das Pesh’tal?“
„Auch hier habe ich mich offensichtlich geirrt, was bei der großen Unruhe in den vergangenen Tagen kaum verwunderlich ist.“
„Wieso sind dann beide gleichzeitig ausgefallen? So etwas geschieht nicht aus heiterem Himmel. Da muss jemand nachgeholfen haben. Kannst du mir das bitte erklären?“ Da’ans Stimme klang unerbittlich.
„Ich bin ein Heiler, kein Detektiv.“
„Und dennoch wirst du doch gewisse Schlussfolgerungen gezogen haben.“
Da’ans Blick nagelte ihn fest. Der amtierende Synodenführer duldete keine Ausflüchte und verlangte die Wahrheit, notfalls mit etwas Nachdruck. Mit’gai gehörte nicht zu den Taelons, die geübt waren in Manipulationen und Intrigen und deshalb knickte erwartungsgemäß sehr schnell ein.
„Rein hypothetisch betrachtet, könnte jemand T’than versehentlich ein falsches Stärkungsmittel gegeben haben. Und ebenso versehentlich könnte dieser Jemand Zo’or suggeriert haben, nach einem Mittel zu greifen, was er für Gift hielt, was sich tatsächlich aber nicht in der Flasche befand, sondern auf seiner Hülle und wobei es sich auch nicht um Gift, sondern um ein harmloses Mittel handelte, das Gedächtnisstörungen hervorruft. Wie gesagt: rein hypothetisch.“
Mit’gai wirkte wie die Unschuld in Person.
„Und jetzt würde ich es begrüßen, wenn ich an meine Arbeit zurückkehren könnte.“
Liam hatte sich die ganze Zeit über kaum das Lachen verkneifen können. Wer hätte gedacht, dass dieser verschrobene Taelon zu so einer Tat fähig war. Da’an war selbstverständlich empört und drohte mit Konsequenzen, aber der Beschützer wusste, dass sein Companion im Grunde froh war, dass hinter der ganzen Angelegenheit nur ein mehr oder weniger übler Scherz steckte und für die Taelongemeinschaft keine Gefahr drohte.
Rasch kehrten sie mit dem Heilmittel für Zo’or in die Botschaft zurück. Dort war das Chaos beseitigt und der Empfangsraum erstrahlte in einem weihnachtlichen Glanz. Zo’or hockte auf dem Boden, inmitten einer kleinen Schar Kinder, die ihn erwartungsvoll anstarrten. In seinen Händen hielt er ein Buch, aus dem er zu lesen beabsichtigte.
„Geben wir ihm das Heilmittel“, schlug Da’an vor.
„Warten Sie!“, sagte Liam. „Es kommt doch jetzt nicht auf eine oder zwei Stunden an. Zo’or wirkt sehr zufrieden. Wann haben Sie ihn zuletzt so gesehen?“
„Sie wissen, dass er uns das niemals verzeihen wird, Liam.“
„Was denn?“ Der Beschützer zog sein Global hervor und filmte die Szene. „Er wird sich vermutlich an nichts erinnern“, sagte er, nachdem er die Aufzeichnung beendet hatte. „Und wenn doch, so haben wir dieses Video. Er wird sich hüten, etwas gegen uns zu unternehmen, wenn er befürchten muss, dass dies an die Öffentlichkeit dringen könnte.“
Da’an sah ihn von der Seite her an.
„Ich frage mich, wer hier der größere Schlingel ist. Mit’gai oder Sie!“
In Augurs Versteck saß der Hacker erfüllt von großer Vorfreude vor seinem Computer. Er hatte zur Feier des Tages eine Flasche Champagner geöffnet und sich mit vielen Leckereien umgeben, mit denen er sich zu verwöhnen beabsichtigte, während er sich genüsslich ausmalte, welche Kunstgegenstände er als Nächstes sein Eigen nennen würde. Er dehnte seine Finger und bewegte sie ganz schnell, so wie ein Klavierspieler, der sich mit Lockerungsübungen auf ein großes Konzert vorbereitete.
„Dann mal los“, sagte er und öffnete die Übersicht seiner Konten. Gleich würde eine Einblendung erscheinen und ihm eine Zahl mit vielen, sehr vielen Nullen präsentieren.
Das Pop-up erschien und präsentierte ihm eine...
„Null?“ Augur sprang entsetzt auf und das kleine Tablett mit dem Kaviar-Häppchen auf seinem Schoß krachte scheppernd auf den Boden. „Das kann nicht wahr sein. Nein, nein, nein! Ich habe mich vertippt. Die Buchung ging sicher auf ein anderes Konto. Ich...“ Seine Finger hämmerten auf die Tastatur ein und in Windeseile wurden andere Konten aufgerufen und Verknüpfungen geprüft. Aber so sehr er sich auch bemühte, das Millionensümmchen blieb unauffindbar.
Da schrie er voller Wut los: „Zo’or, du verfluchter Bastard! Das wirst du mir büßen.“
Derweil in der Washingtoner Botschaft hatte Zo’or das Buch aufgeschlagen. Er entdeckte Liam und Da’an und winkte sie zu sich. „Fröhliche Weihnachten, Liam! Fröhliche Weihnachten, Da’an!“, rief er. „Setzt euch zu uns.“ Dann wandte er sich an die Kinder. „Ich will euch eine kleine Weihnachtsgeschichte erzählen. Und sie lautet so: „ Marley war tot – damit wollen wir beginnen.“
Ende.


Hier kommt nun der 4. Teil. Viel Spaß beim Lesen!

Liam saß an seinem Arbeitsplatz in der Botschaft und widmete sich den Dingen, die er in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Da’an hatte alle gegenwärtigen Termine abgesagt, damit er schnell agieren konnte, sollte Zo’or in Gefahr geraten. Der junge Mann hatte nichts gegen einen ruhigen Nachmittag, wenn ihm auch ein freier Tag lieber gewesen wäre.
„Ich sollte Augur anrufen“, überlegte er laut. Er hatte das bisher vor sich hergeschoben, weil ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, den Freund so überrumpelt zu haben. Ob es ein gutes Zeichen war, dass sich Augur bisher noch nicht gemeldet hatte? Er atmete durch und öffnete das Global. Das Gesicht des Hackers erschien auf dem kleinen Monitor und es wirkte alles andere als freundlich. Eigentlich war es sogar recht finster. „Ich wollte mal sehen, wie es dir so geht“, begann Liam vorsichtig.
„Na, was denkst du wohl?“, brummte der dunkelhäutige Mann.
Liam rutschte unbehaglich auf dem Stuhl herum. „Tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe.“
„Ja, das war wirklich nicht nett.“ Augurs Stirn furchte sich bedenklich. Jetzt würde wohl er mit einer ordentlichen Standpauke loslegen. Doch dann klatschte er plötzlich in die Hände und zeigte ein breites Lachen, das von einem Ohr bis zum anderen reichte. „Ha, reingelegt! Keine Sorge. Es läuft alles ganz prima.“
„Ich will auch“, erklang im Hintergrund Zo’ors Stimme. Das Gesicht des Taelons schob sich in den Erfassungsbereich der Kamera. „Hallo, Liam Kincaid!“, sagte er, als den Companionbeschützer erkannte. „Augur und ich sind jetzt Freunde.“
„Freunde?“, wiederholte Liam ungläubig. Augur warf ihm ein paar bedeutungsvolle Blicke zu, die wohl ausdrücken sollten, dass man diese Bemerkung nicht allzu ernst nehmen sollte. Wo käme man denn hin, wenn er als ein großartiger Hacker und treues Mitglied des Widerstandes mit dem Feind fraternisieren würde!
Liam lachte erleichtert auf, denn er hatte Augur längst durchschaut. Sicher war er ein egozentrischer, egoistischer und größenwahnsinniger Mann, aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck.
„Liam Kincaid, weißt du, was Augur und ich gemacht haben?“, plauderte Zo’or plötzlich los. „Wir haben…“
„Ach, weißt du, ich denke, dass interessiert Liam nicht wirklich“, fiel ihm Augur rasch ins Wort und wirkte ein wenig erschrocken. Liam kam nicht mehr dazu, nachzuhaken, denn in diesem Augenblick hörte er das Geräusch eines sich öffnenden Portals. „Ich muss Schluss machen!“, rief er ins Global und schloss es.
Schritte draußen auf dem Korridor, der von dem Raum mit dem Portal zu ihnen führte, waren zu hören. Dann zeigte sich die Gestalt Ronald Sandovals in Begleitung zweier Freiwilliger.
„Sandoval!“, rief Liam. „Ich wundere mich. Sie haben das Portal benutzt, das auf Ihren Befehl hin deaktiviert wurde.“
Der Agent kam langsam näher. Sein Blick wirkte unschuldig. „Komische Sache. Ich habe mir heute die Protokolle der Portalbehörde angesehen und musste feststellen, dass es gestern ebenfalls benutzt wurde. Da frage ich mich, ob es vielleicht für Zo’or aktiviert wurde und ob die Protokolle deshalb von Ihnen gelöscht wurden.“
Liam versuchte ruhig zu bleiben. Er brauchte jetzt dringend eine glaubhafte Erklärung oder eine gute Taktik.
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Sie haben für Zo’or das Portal aktiviert oder wissen doch zumindest, dass er hindurchgegangen ist. Schließlich haben Sie ja die Protokolle gelöscht. Dennoch wollen Sie mir weismachen, dass Sie keinerlei Ahnung haben, wo er sich aufhält.“
„Es ist nicht so, wie Sie denken, Sandoval.“
„Sicher, das ist es ja nie.“ Der FBI-Agent gab seinen Sicherheitsleuten ein Zeichen. „Aber Sie sollen die Möglichkeit zu einer Erklärung haben. Entweder hier und jetzt oder auf dem Mutterschiff. Es liegt bei Ihnen.“
„Stehe ich etwa unter Verdacht?“
„Wie ich schon sagte, es liegt bei Ihnen.“
„Das ist doch absurd“, sagte Liam. „Sie tun gerade so, als ob hier ein Verbrechen begangen worden ist. Zo’or hat sich eine Auszeit genommen oder hat irgendeinen Termin, eine Verabredung, die nicht bekannt werden soll. Er ist nicht in Gefahr und wurde auch nicht entführt. Andernfalls hätte die Synode uns alarmiert. Sie verhalten sich paranoid.“
„Wenn alles so simpel ist, können Sie mir auch verraten, wohin Zo’or gereist ist.“
„Das kann ich nicht.“
Sandoval verzog den Mundwinkel zu einem verächtlichen Grinsen. „Ich bin Zo’ors rechte Hand und ausgerechnet Sie werden ins Vertrauen gezogen? Sie waren mir schon immer suspekt, Kincaid, nur hatte ich leider nie etwas gegen Sie in der Hand. Ein Major, der plötzlich aus dem Nichts erscheint, genau zu dem Zeitpunkt, an dem Da’ans bisheriger Beschützer stirbt. Sie werden nicht implantiert und kritisieren die Taelons öffentlich. Da frage ich mich doch, ob Sie nicht in Wirklichkeit...“
„Schluss damit!“, ertönte in diesem Augenblick Da’ans Stimme. Der Taelon stand oben am Ende des Ganges, der zu seinen Privaträumen führte. Langsam kam er zu ihnen herunter, stellte sich vor Sandoval und sah ihn durchdringend an. „Zo’or befindet sich an einem sicheren Ort und ist nicht in Gefahr.“
Einige Sekunden lang wusste Ronald nicht, was er sagen sollte.
„Und warum werde ich nicht eingeweiht?“, fragte er schließlich verwirrt.
„Weil Sie implantiert sind“, antwortete Da’an. „Das CVI lässt Sie nicht lügen. Sie hätten Zo’ors Aufenthaltsort an T’than verraten, weil der Motivationsimperativ Sie dazu gezwungen hätte.“
„Ich verstehe.“
Sandoval dachte scharf nach. Seine Neugierde war jetzt größer denn je.
„Ich denke, Ihnen bleibt jetzt nichts anderes übrig, als mich einzuweihen“, sagte er. „Ich bin der Sicherheitschef, und ich muss davon ausgehen, dass Sie hier einer konspirativen Tätigkeit nachgehen, die die Führung der Taelongemeinschaft ernsthaft in Gefahr bringt.“
„Sandoval!“, rief Liam warnend. „Da’an ist immer noch ein Mitglied der Synode und somit ihr Vorgesetzter.“
Der Asiate sah ihn ausdruckslos an.
„Mein CVI zwingt mich, der Angelegenheit nachzugehen, Major. Wenn Sie mir Zo’ors Aufenthaltsort nicht verraten können oder mir die Möglichkeit gewähren, mich von seiner Sicherheit persönlich zu überzeugen, bin ich gezwungen, die Synode darüber zu informieren.“
Liam wechselte einen Blick mit Da’an. Wenn die Synode eingeschaltet wurde, könnte es für sie brenzlig werden.
Der Außerirdische nickte bedächtig.
„Zo’or hat sich erneut mit dem Pesh’tal-Virus infiziert“, gestand er schließlich.
Zunächst sagte Sandoval gar nichts. Diese Nachricht musste er erst einmal sortieren.
„Das ist nicht möglich. Mit’gai hat diese Krankheit erfolgreich bekämpft. Er sprach davon, dass sie ausgerottet sei und sich die Taelons nicht mehr infizieren könnten.“
„Und dennoch ist es geschehen.“
Sandoval überlegte erneut. „Wieso befindet sich Zo’or dann nicht in Behandlung? Wieso versteckt er sich?“
Jetzt übernahm Liam das Wort. „Weil wir davon ausgehen müssen, dass die Synode Zo’or als unheilbar ansieht. Dabei wissen wir nicht einmal, wie er sich überhaupt infiziert hat.“
„Doch, das wissen wir!“, fiel ihm der Asiate ins Wort. Beinahe triumphierend sah er seinen Kollegen und Da’an an. „Und ich weiß auch, wer dahintersteckt.“ Er genoss sichtbar den Moment, in dem er neugierig und erwartungsvoll angeschaut wurde. Dann ließ er die Bombe platzen. „T’than und Mit’gai.“
„T’than und Mit’gai“, wiederholte Liam spöttisch.
„Wir wissen, dass T’than darauf aus ist, Zo’or als Synodenführer abzulösen, und ebenso wissen wir, dass er seit einiger Zeit einzelne Taelons auf seine Seite zu ziehen sucht. Er hat ein Motiv, so viel steht fest.“ Sandoval zog sein Global hervor, um eine Audioaufzeichnung abzuspielen, die er heimlich von T’thans Besuch bei Mit’gai gemacht hatte. „Ich habe hier den Beweis.“
Aufmerksam hörten Liam und Da’an zu. „Daraus eine Verschwörung zu machen, ist schon ziemlich wagemutig“, sagte Liam skeptisch. „Außerdem ist Mit’gai dafür bekannt, dass er keinerlei politische Ambitionen hat und sich neutral verhält.“
„Das mag für die Vergangenheit zutreffen, aber er hat vielleicht seine Meinung geändert.“
„Was werden Sie jetzt unternehmen?“, fragte Da’an besorgt.
„Ich werde T’than zur Rede stellen.“
„Halt! Warten Sie!“, rief Liam. „T’than ist nicht irgendein Taelon, er ist der Kriegsminister. Wenn er zu Unrecht beschuldigt wird, könnte das ernsthafte Konsequenzen haben.“
„Und ich bin der Sicherheitschef“, erwiderte Sandoval hochmütig. „Sie können sich mir anschließen oder aus der Ferne zuschauen, wenn Ihnen das lieber ist.“ Er gab seinen Leuten ein Zeichen und marschierte Richtung Portal.
„Ich werde ihm folgen!“, sagte Liam und wollte sich in Bewegung setzen. Sein Companion hielt ihn zurück. „Wir wissen nicht, welche Ereignisse Sandoval auslöst. Bringen Sie Zo’or hierher in die Botschaft. Wir können nicht riskieren, dass er bei Ihrem Freund gefunden wird.“
„Dazu muss ich Augur nur anrufen.“
„Nein, es ist besser, wenn Sie hierbleiben. Wenn Sandoval falsch liegt, wird es einen sehr zornigen T’than geben, und da möchte ich Sie doch lieber aus der Schusslinie haben. Ich werde selbst auf das Mutterschiff gehen.“
Sandoval stand vor der Tür zu T’thans Quartier und verlangte Einlass. Das lebende Gewebe des Mutterschiffes erkannte ihn an seinem CVI. Dennoch blieb das Quartier verschlossen.
„T’than, lassen Sie uns herein! – Zwingen Sie mich nicht, entsprechende Maßnahmen einzuleiten.“
Sandovals befehlender Ton zeigte Wirkung. Die Tür öffnete sich, doch anstatt T’than erschien Mit’gai. „Mr. Sandoval, was hat dieser Auftritt zu bedeuten?“
„Ich muss T’than sprechen. Umgehend!“
„Das ist nicht möglich. T’than möchte nicht gestört werden.“
„Er wird es hinnehmen müssen!“
„Das wird er nicht.“
In Sandovals Gesicht zuckte es bedenklich. „Als Sicherheitschef wurde ich von Zo’or persönlich autorisiert, mir Zutritt zu jedem Raum zu verschaffen, wenn ich es als notwendig erachte. Also gehen Sie mir aus dem Weg!“ Als Mit’gai nicht reagierte, schob er den Taelon kurzerhand beiseite und stürmte mit seinen Sicherheitsleuten das Quartier.
Wie alle taelonischen Räumlichkeiten war auch T’thans privater Bereich eher spartanisch eingerichtet. Es gab einen Energiestuhl und einige Konsolen, die aus dem Boden wuchsen. Sandoval erkannte sie als medizinische Überwachungs- und Operationsstationen. Jetzt wusste er, dass er richtiglag.
„Ich muss Sie bitten, zu gehen“, sagte Mit’gai. „T’than ist unpässlich und kann Sie nicht empfangen.“
„Das interessiert mich nicht“, sagte Sandoval hart und stürmte den nächsten Raum in der Gewissheit, nicht nur eine Bedrohung der Taelongemeinschaft ausgeschaltet, sondern insbesondere das Leben des Synodenführers gerettet zu haben. „T’than!“, wollte er rufen, doch er kam nicht über das „T“ hinaus. Perplex blickte er auf den Taelon, der auf einer Art Tisch lag. Der Außerirdische hatte seine menschliche Form aufgegeben. Dort, wo sich beim Menschen das Gesäß befand, zeigten sich dicke Blasen. Sie wogten und waberten wie Seifenblasen und Sandoval rechnete instinktiv damit, dass sie jeden Augenblick platzten. Die Energiebahnen, die sich durch den Körper zogen, leuchteten an einigen Stellen rot auf.
„Ist das Pesh’tal?“, fragte er Mit’gai, der neben ihn trat.
„Nein. Wie ich bereits erwähnte, es handelt sich um eine kleine Unpässlichkeit.“
Sandoval zerrte an seiner Krawatte, die ihm den Hals zuschnürte. Was gäbe er darum, sich jetzt in Luft aufzulösen oder einfach die Zeit zurückdrehen zu können. Hatte er kurz die vage Hoffnung, der vor ihm liegende Taelon sei gar nicht T’than, wurde diese sehr abrupt vernichtet. Der Außerirdische nahm seine menschliche Form an und wurde zum Kriegsminister. „Das wird ein Nachspiel haben, Mr. Sandoval!“, zischte er böse.
Ronald hatte es jetzt sehr eilig, das Quartier zu verlassen. Draußen auf dem Korridor atmete er tief durch, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. Er war zu sehr Profi, um sich aus der Fassung zu bringen. Vielleicht war das Ganze ein abgekartetes Spiel, eine raffinierte Inszenierung, um ihn auf die falsche Fährte zu locken.“
Inzwischen war auch Da’an eingetroffen. Er unterhielt sich kurz mit Mit’gai und trat dann an Sandovals Seite. Ein wenig mitleidig sah er seinen früheren Beschützer an. „Das war wohl eine etwas unglückselige Aktion.“
„Wieso?“, erwiderte der Asiate beinahe trotzig. „Er könnte dennoch für den Angriff auf Zo’or verantwortlich sein.“
Da’ans Blick wurde noch mitleidiger. „T’than leidet an Li’thum. Das ist eine Krankheit, die nur sehr alte Taelons befällt. Es ist vergleichbar mit dem menschlichen Klimakterium. Es bringt den Energiehaushalt durcheinander.“
„Wechseljahre?“, würgte Sandoval hervor. Er sah seinen Kopf bereits rollen. Diese Blamage der Bloßstellung würde ihm T’than niemals verzeihen. „Ich geh ... zurück auf die Brücke“, murmelte er.
Da’an nickte. „Das wird wohl das Beste sein.“
„T’than leidet an den Wechseljahren?“ Liam hatte Mühe, nicht loszulachen. „Ich möchte nicht in Sandovals Haut stecken. Wenn er schlau ist, nimmt er Urlaub und das am besten so lange, bis T’than uns wieder verlässt.“ Als er merkte, dass sein Companion nachdachte, wurde er wieder ernst. „Was ist los, Da’an?“
„Li’thum tritt nicht spontan auf. Es ist ein Prozess, der sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt. Nach den Symptomen zu urteilen, die T’than derzeit aufweist, müsste er sich in einem fortgeschrittenen Stadium befinden. In diesem Fall hätte er sich aber bereits vor Monaten aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.“
„Was soll’s.“ Liam zuckte mit den Achseln. „Sehen wir es positiv. Da sowohl Zo’or als auch T’than ausfallen, sind Sie jetzt am Zug, verehrter stellvertretender Synodenführer.“ Und er machte eine übertriebene Verbeugung.
Nach einem kurzen Abstecher auf die Brücke, bei dem sich Da’an nicht nehmen ließ, auch den Stuhl des Synodenführers auszuprobieren, kehrten er und Liam in die Botschaft zurück, um nach Zo’or zu sehen. Mit’gai hatte ihnen zugesichert, ihnen das Heilmittel in Kürze zu liefern.
Als sie die Shuttle-Rampe verließen – Da’an bestand auf die Fähre, um kein weiteres Aufsehen zu erregen –, erlebten sie eine große Überraschung. Im großen Empfangsraum, den der nordamerikanische Companion für seine Gäste benutzte, wimmelte es von Menschen. Männer und Frauen trugen Geschenkpakete herein, einige schmückten einen drei Meter hohen Weihnachtsbaum. Andere dekorierten die Wände mit Lichterketten und wiederum andere errichteten ein Buffet mit Kuchen, Weihnachtsplätzchen und vielen anderen Köstlichkeiten. Auf Da’ans Stuhl saß ein Weihnachtsmann und übte leise seinen Text.
Inmitten des Gewimmels stand Zo’or und koordinierte sehr zielstrebig alle Aktivitäten. Als er Da’an und Liam erblickte, eilte er rasch auf sie zu. „Ihr müsst wieder gehen. Ich bin noch nicht fertig.“
„Zo’or, was hat das zu bedeuten?“, fragte Da’an fassungslos.
„Eine Überraschung. Bitte, geht.“
Schmunzelnd schob Liam seinen Companion zum Ausgang.
„Tun wir ihm den Gefallen. Wir können ja in der Zwischenzeit das Heilmittel von Mit’gai holen.“
„Liam“, protestierte Da’an völlig verwirrt. „Was ist mit Zo’or geschehen?“
„Keine Sorge, das kriegen wir in den Griff. Es ist doch irgendwie ganz nett, einen freundlichen Zo’or zu erleben. Ich frage mich allerdings, wie er das hier alles so schnell besorgen konnte? Woher hat er das Geld?“
Während sie zum Mutterschiff flogen, wirkte Da’an sehr beunruhigt.
„Denken Sie, Zo’or ist...“
„Verrückt geworden? Nein. Machen Sie sich keine Sorgen um ihn, Da’an. Es mag seltsam sein, aber der Zo’or, der er jetzt ist, ohne die Erinnerung an sein Dasein als Synodenführer, ist ein Menschenfreund. Denken Sie an das junge Paar aus der Psychiatrie, denen er bei seiner ersten Pesh’tal-Infizierung begegnet ist. Er hat sich mit ihnen angefreundet. Schade nur, dass dieser Zustand nicht auf Dauer anhält.“
Da’an versank in seinen Gedanken. Plötzlich schreckte er hoch.
„Wir wissen noch immer nicht, wie sich Zo’or infizieren konnte. Wenn es nun doch ein Attentat war? Er hat viele Gegner. Seine Führungspolitik ist nicht umstritten. Es könnte wieder passieren. Auch andere Taelons könnten in Gefahr sein.“
„Wenn es ein Attentat war, dann ein schlecht ausgeführtes“, versuchte ihn Liam zu beruhigen. „Warten wir ab, was Mit’gai sagt. Er hat ein Heilmittel, vielleicht weiß er inzwischen mehr.“
Sie fanden Mit’gai in seinem Labor. In seinen Händen hielt er zwei kleine Fläschchen, eins war für Zo’or bestimmt und das andere für T’than. „Da du aktuell der Synodenführer bist“, sagte er zu Da’an, „liegt es an dir zu entscheiden, wann die beiden Streithähne auf die Brücke zurückkehren sollten. Ich habe die Ruhe auf jeden Fall genossen. Sie war eine Wohltat. Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn sie noch eine Weile anhielte.“ Damit kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück.
Liam und Da’an sahen sich an.
„Denken Sie gerade dasselbe wie ich?“, fragte der Beschützer.
„Ja.“ Der Taelon wirkte sehr überrascht. „Es ist schon ein seltsamer Zufall, dass ausgerechnet Zo’or und T’than aufgrund einer nicht lebensbedrohlichen Störung ausfallen und sonst niemand.“
„Dieser Schlingel.“ Liam grinste von einem Ohr zum anderen.
„Mit’gai“, sagte Da’an, „kann es sein, dass du deine Finger im Spiel hattest?“ Da’an liebte menschliche Redewendungen.
Ohne die Miene zu verziehen, erwiderte dieser ein wenig hochmütig: „Ich bin ein Heiler. Ich füge einem Taelon keinen Schaden zu.“
„Na ja, zu Schaden gekommen ist auch niemand“, warf Liam amüsiert ein. „Es hat allenfalls ein wenig am Stolz und an der Würde gekratzt.“
„Mit’gai“, Da’ans Stimme klang jetzt streng, „leidet T’than an Li’thum?“
Nach einem kurzen Zögern gestand der Heiler: „Ich muss zugeben, ich habe mich in der Diagnose geirrt. T’than ist von einer leichten Störung seines Energiekreislaufes betroffen. Kein Li’thum.“
„Und was ist mit Zo’or? Hat er das Pesh’tal?“
„Auch hier habe ich mich offensichtlich geirrt, was bei der großen Unruhe in den vergangenen Tagen kaum verwunderlich ist.“
„Wieso sind dann beide gleichzeitig ausgefallen? So etwas geschieht nicht aus heiterem Himmel. Da muss jemand nachgeholfen haben. Kannst du mir das bitte erklären?“ Da’ans Stimme klang unerbittlich.
„Ich bin ein Heiler, kein Detektiv.“
„Und dennoch wirst du doch gewisse Schlussfolgerungen gezogen haben.“
Da’ans Blick nagelte ihn fest. Der amtierende Synodenführer duldete keine Ausflüchte und verlangte die Wahrheit, notfalls mit etwas Nachdruck. Mit’gai gehörte nicht zu den Taelons, die geübt waren in Manipulationen und Intrigen und deshalb knickte erwartungsgemäß sehr schnell ein.
„Rein hypothetisch betrachtet, könnte jemand T’than versehentlich ein falsches Stärkungsmittel gegeben haben. Und ebenso versehentlich könnte dieser Jemand Zo’or suggeriert haben, nach einem Mittel zu greifen, was er für Gift hielt, was sich tatsächlich aber nicht in der Flasche befand, sondern auf seiner Hülle und wobei es sich auch nicht um Gift, sondern um ein harmloses Mittel handelte, das Gedächtnisstörungen hervorruft. Wie gesagt: rein hypothetisch.“
Mit’gai wirkte wie die Unschuld in Person.
„Und jetzt würde ich es begrüßen, wenn ich an meine Arbeit zurückkehren könnte.“
Liam hatte sich die ganze Zeit über kaum das Lachen verkneifen können. Wer hätte gedacht, dass dieser verschrobene Taelon zu so einer Tat fähig war. Da’an war selbstverständlich empört und drohte mit Konsequenzen, aber der Beschützer wusste, dass sein Companion im Grunde froh war, dass hinter der ganzen Angelegenheit nur ein mehr oder weniger übler Scherz steckte und für die Taelongemeinschaft keine Gefahr drohte.
Rasch kehrten sie mit dem Heilmittel für Zo’or in die Botschaft zurück. Dort war das Chaos beseitigt und der Empfangsraum erstrahlte in einem weihnachtlichen Glanz. Zo’or hockte auf dem Boden, inmitten einer kleinen Schar Kinder, die ihn erwartungsvoll anstarrten. In seinen Händen hielt er ein Buch, aus dem er zu lesen beabsichtigte.
„Geben wir ihm das Heilmittel“, schlug Da’an vor.
„Warten Sie!“, sagte Liam. „Es kommt doch jetzt nicht auf eine oder zwei Stunden an. Zo’or wirkt sehr zufrieden. Wann haben Sie ihn zuletzt so gesehen?“
„Sie wissen, dass er uns das niemals verzeihen wird, Liam.“
„Was denn?“ Der Beschützer zog sein Global hervor und filmte die Szene. „Er wird sich vermutlich an nichts erinnern“, sagte er, nachdem er die Aufzeichnung beendet hatte. „Und wenn doch, so haben wir dieses Video. Er wird sich hüten, etwas gegen uns zu unternehmen, wenn er befürchten muss, dass dies an die Öffentlichkeit dringen könnte.“
Da’an sah ihn von der Seite her an.
„Ich frage mich, wer hier der größere Schlingel ist. Mit’gai oder Sie!“
In Augurs Versteck saß der Hacker erfüllt von großer Vorfreude vor seinem Computer. Er hatte zur Feier des Tages eine Flasche Champagner geöffnet und sich mit vielen Leckereien umgeben, mit denen er sich zu verwöhnen beabsichtigte, während er sich genüsslich ausmalte, welche Kunstgegenstände er als Nächstes sein Eigen nennen würde. Er dehnte seine Finger und bewegte sie ganz schnell, so wie ein Klavierspieler, der sich mit Lockerungsübungen auf ein großes Konzert vorbereitete.
„Dann mal los“, sagte er und öffnete die Übersicht seiner Konten. Gleich würde eine Einblendung erscheinen und ihm eine Zahl mit vielen, sehr vielen Nullen präsentieren.
Das Pop-up erschien und präsentierte ihm eine...
„Null?“ Augur sprang entsetzt auf und das kleine Tablett mit dem Kaviar-Häppchen auf seinem Schoß krachte scheppernd auf den Boden. „Das kann nicht wahr sein. Nein, nein, nein! Ich habe mich vertippt. Die Buchung ging sicher auf ein anderes Konto. Ich...“ Seine Finger hämmerten auf die Tastatur ein und in Windeseile wurden andere Konten aufgerufen und Verknüpfungen geprüft. Aber so sehr er sich auch bemühte, das Millionensümmchen blieb unauffindbar.
Da schrie er voller Wut los: „Zo’or, du verfluchter Bastard! Das wirst du mir büßen.“
Derweil in der Washingtoner Botschaft hatte Zo’or das Buch aufgeschlagen. Er entdeckte Liam und Da’an und winkte sie zu sich. „Fröhliche Weihnachten, Liam! Fröhliche Weihnachten, Da’an!“, rief er. „Setzt euch zu uns.“ Dann wandte er sich an die Kinder. „Ich will euch eine kleine Weihnachtsgeschichte erzählen. Und sie lautet so: „ Marley war tot – damit wollen wir beginnen.“
Ende.