21.12.2019, 07:56
Guten Morgen.
Hier kommt nun mein erstes Türchen. Ich hoffe, es gefällt euch. Viel Spaß beim Lesen!
Ein ganz gewöhnlicher Morgen auf dem Taelon-Mutterschiff...
Zo’or saß in seinem Stuhl auf der Brücke, als man ihm die Ankunft des Kriegsministers meldete.
„T’than, was verschafft uns die Ehre? Bist du gekommen, um wieder einmal meine Führungsqualitäten in Frage zu stellen, oder handelt es sich um einen neuerlichen Versuch, Da’an und Mit’gai auf deine Seite zu ziehen?“
„Vielleicht möchte ich dir mit meiner Anwesenheit einfach nur den Tag zu versüßen“, erwiderte der General süffisant und kam langsam näher.
„Ich wusste nicht, dass du neuerdings eine Vorliebe für Menschen-Metaphern entwickelt hast“, gab der Synodenführer zurück.
Sandoval, der vor einer Konsole stand, um einige Protokolle abzusegnen, seufzte innerlich auf. Das konnte ja heiter werden. Jeder Einzelne für sich war anstrengend genug; im Doppelpack waren sie geradezu unerträglich.
„Manchmal können auch niedrige Lebensformen etwas Nützliches beisteuern“, sagte T’than und stolzierte provozierend herum.
„Wenn du mir nicht verraten willst, was dich hierherführt, entschuldige mich bitte. Ich habe ein Volk zu retten.“ Zo’or öffnete demonstrativ einen Datenstrom.
„Stell dir vor, das ist auch meine Intention. Und nach dem letzten Vorfall erscheint mir mein Eingreifen umso wichtiger.“
„Ich weiß nicht, wo von du sprichst.“
T’than betrachtete den jungen Taelon, der in seinen Augen nichts anderes war als ein dreistes Kind, das nur durch Zufall die höchste Position des Gemeinwesens erhalten hatte. Verübeln konnte er es ihm nicht, dass er eine Gelegenheit wahrgenommen hatte, die ihm niemals offeriert worden wäre, wäre er, der Kriegsminister an der Entscheidung beteiligt worden. Dies war ein Fehler, den er zu korrigieren beabsichtigte.
„Pesh’tal. Klingelt da was in deinen Ohren, Zo’or?“
„Sprich ordentlich mit mir, Kriegsminister!“, wies ihn der Synodenführer schroff zurecht. „Du kannst mit deinen Menschen-Metaphern vielleicht Da’an beeindrucken, aber hier auf der Brücke sind sie fehl am Platz. Und was das Pesh’tal angeht – der Virus ist gestoppt.“
„Und warum wurde er nicht vollkommen vernichtet?“
„Ich habe meine Gründe dafür.“
„Gründe? Du riskierst das Leben aller Taelons.“
„Das ist völliger Unsinn und beweist nur, wie wenig informiert du bist.“
„Willst du etwa leugnen, dass sich das Virus hier auf dem Mutterschiff befindet?“
„Ich muss nichts leugnen.“ Zo’ors Hand fuhr durch den Datenstrom, ohne wirklich zu erfassen, was dort erschien. T’than ärgerte ihn. Leider konnte er ihn nicht einfach vom Schiff werfen. „Das Virus befindet sich unter Verschluss in Mit’gais Labor. Du kannst dich gerne davon überzeugen.“ Vielleicht wurde er den alten Taelon auf diese Weise los.
„Es ist viel zu gefährlich, um es auf einem Schiff zu lagern und es so vielen Taelons auszusetzen. Es gab bereits einmal eine sehr gefährliche Situation. Du solltest dich gut daran erinnern, Zo’or. Warum gehen wir ein sinnloses Risiko ein?“
„Liegt das nicht auf der Hand?“
„Du meinst, falls das Virus erneut zuschlägt?“ T’than zeigte so etwas wie ein Lächeln, obwohl das eigentlich nicht möglich war, schließlich hatten sämtliche Taelons ihre Gefühle und Emotionen bereits vor langer Zeit verloren. „Theoretisch kann das nicht mehr passieren, denn ich beabsichtige die Kolonie, die uns dieses Relikt vermachte, auszulöschen...“
„Auslöschen?“, fiel ihm Zo’ors ins Wort. „Und was ist mit den Taelons, die dort noch leben?“
„Sie werden sich in Stasis begeben müssen. Es macht wenig Sinn, den Virus an einem Ort zu eliminieren und ihn dann mit seinen Wirtskörpern an eine andere Stelle zu übertragen.“
„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Synode dieser Vorgehensweise zugestimmt hat.“
„Das wird sie, Zo’or. Das wird sie.“
„Sei dir da nicht so sicher.“
„Und ebenso werde ich dafür Sorge tragen, dass auch das Virus an Bord vernichtet wird. Es ist viel zu riskant, es in der Nähe von Menschen zu belassen, die du, Zo’or, noch immer nicht unter deine Kontrolle bekommen hast.“
„Ich habe die Menschen unter Kontrolle. Das wüsstest du, würden dich unsere Belange auf diesem Planeten hier noch ein wenig interessieren.“
„Ganz bestimmt habe ich nicht vor, mich mit primitiven Lebewesen abzugeben...“
Als Liam Kincaid die Brücke des Mutterschiffes betrat, zeigte sich ihm ein beeindruckendes Schauspiel. Zo’or und T’than lieferten sich ein Wortgefecht, was unter Menschen zu einer handfesten Prügelei geführt hätte. Da’an versuchte vergeblich, die Kontrahenten zu beruhigen, während Mit’gai, der ebenfalls anwesend war, immer wieder demonstrativ einwarf: „So kann ich nicht arbeiten!“ Wer von den Freiwilligen keinen Brückendienst hatte, war längst verschwunden. Liam sah lediglich zwei Hauptkonsolen besetzt. Einzig und allein Sandoval ließ sich von dem Streit nicht beeinflussen. Er stand an seinem Pult wie Eisblock, genauso kalt und unnachgiebig.
Als Da’an seinen Beschützer sah, eilte er zu ihm.
„Wie lange geht das schon so?“, fragte Liam.
„Seit Stunden.“ Da’an wirkte gleichermaßen erschöpft wie besorgt. Er verließ die Brücke und trat hinaus auf den leeren Gang. Liam folgte ihm.
„Und wieso streiten sie? Schon wieder.“
„Es geht um das Virus, das Pesh’tal.“
„An dem Zo’or erkrankt war.“ Liam nickte. Er konnte sich noch allzu gut an den Zwischenfall erinnern. „Wieso sind sie sich uneins?“
„T’than würde die Proben, die ich von dem Virus gesichert habe, am liebsten auf der Stelle vernichten“, sagte Mit’gai, der ihnen gefolgt war. „Zo’or dagegen wünscht, dass sie vorgehalten werden, für den Fall, dass es noch einmal zu einer Infektion kommt, was nicht völlig auszuschließen ist.“
„Na ja, sollte sich noch einmal ein Taelon oder ein Mensch damit infizieren, wäre es gut, den Original-Virusstamm zur Hand zu haben“, meinte Liam.
„Jetzt, da wir wissen, dass sich die Menschen ebenfalls infizieren können, werden sie von der weiteren Entwicklung selbstverständlich ausgeschlossen.“
„Dennoch muss berücksichtigt werden, dass ein Gegenmittel unter Umständen benötigt wird“, sagte der Beschützer mit einem Stirnrunzeln. Er wusste, dass dem Heiler die Menschen egal waren und sie keinerlei Priorität bei seinen Forschungen und Entwicklungen hatten.
„Selbstverständlich“, erwiderte Mit’gai nach einem kurzen Blickwechsel mit Da’an.
„Wenn sich Zo’or und T’than nicht einigen können, wird die Angelegenheit der Synode vorgetragen“, sagte der nordamerikanische Companion, um die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem zu lenken.
„Nun, ich kann T’than irgendwie verstehen“, meinte Liam. „Das Virus auf dem Mutterschiff zu lagern, ist nicht ganz ungefährlich. Wenn es in die falschen Hände gerät, kann viel Unheil damit angerichtet werden.“
„Für mein Empfinden ist die Auseinandersetzung zwischen Zo’or und T’than schädlicher als ein Virus, das sich unter Beschluss befindet“, sagte der Taelon-Heiler. „Sie erzeugt Unruhe im Gemeinwesen, und was noch weit schlimmer ist, sie könnte eine Spaltung hervorrufen.“
„Ich muss Mit’gai zustimmen.“ Da’an hatte Liams skeptischen Blick bemerkt. „Sowohl Zo’or als auch T’than haben ihre Anhänger und Befürworter ihrer Strategien. Sollte sich die Mehrheit auf die Seite unseres Kriegsministers stellen, könnte Zo’or abgesetzt werden.“
„Ist das vielleicht seine Absicht?“, fragte Liam. „T’than hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er den gegenwärtigen Kurs der Synode nicht gutheißt. Und vergessen Sie nicht: Als Zo’or durch das Virus ausfiel, hat die Synode T’than als Stellvertreter autorisiert und Sie dabei übergangen.“
„Ich werde die Synode kontaktieren, um zu erfahren, aus welchem Grund T’than hier ist“, entschied Da’an.
„Solange er an Bord ist, herrscht Unfrieden“, bemerkte Mit’gai abschließend und zog sich zurück.
Liam sah ihm nachdenklich hinterher.
„Täusche ich mich oder reagiert Mit’gai ein wenig gereizt?“
Da’an warf ihm verwirrten Blick zu.
„Taelons sind nicht gereizt, Major.“
Sein Beschützer schmunzelte. „Würde mich Zo’or nicht jeden Tag eines Besseren belehren, würde ich Ihnen zustimmen.“
Da sich in der Angelegenheit nichts weiter zu besprechen gab, verabschiedete sich der junge Mann, um sich seinem freien Tag zu widmen, den er eigentlich bereits vor zwei Stunden antreten wollte.
In den kommenden Tagen änderte sich nichts auf dem Mutterschiff. T’than stolzierte herum, führte Gespräche mit Taelons der verschiedensten Kasten und Funktionen und griff Zo’or bei sich jeder bietenden Gelegenheit verbal an. Einen Grund für seine Anwesenheit konnte Da’an nicht in Erfahrung bringen. Routinemäßige Kontrollen der Abwehr, hieß es. Strategieplanung und Ressourcenmanagement nannten es andere.
Zo’or scheute weder die Konfrontation mit dem Kriegsminister noch dessen ständige Vorwürfe. Allerdings ärgerte ihn die defensive Haltung der Synode in der Angelegenheit. Lediglich Da’an ergriff öffentlich Partei für ihn, wenn auch eher aus dem Grund, dass er sich mal wieder schützend vor sein Kind stellte. Wer jetzt auf der Brücke seinen Dienst leisten musste, der versuchte unsichtbar zu werden. Zu diesem Zeitpunkt tolerierte Zo’or nicht den kleinsten Fehler. Selbst Sandoval hatte schon das Weite gesucht und gab vor, irgendwelchen Spuren zu verfolgen, die zum Widerstand führen würden.
Vor allem Mit’gai war ein Leidtragender. Jeder der beiden Kontrahenten versuchte, ihn auf seine Seite zu ziehen. Es ging ihnen dabei längst nicht mehr um das Virus. Der Heiler hatte bei Ausbruch der Taelon-Pest eine Methode gefunden, die Gemeinschaft vor einer weiteren Infizierung zu schützen, nur interessierte das niemanden. Offensichtlich war es Zo’or und T’than wichtiger, genügend Verbündete zu finden. Mit’gai war frustriert, weil er in seiner Arbeit gestört wurde.
Ein paar Tage später. Sandoval hatte seine kleine Auszeit genossen, doch jetzt musste er seine Pflichten auf dem Mutterschiff wieder wahrnehmen und Präsenz zeigen. Zo’or könnte sonst auf die Idee kommen, ihn für überflüssig zu halten.
T’than hatte Zo’or mal wieder auf die Brücke verfolgt, um ihn auf vergangene Fehler aufmerksam zu machen. Einen neuen Streit konnte er dabei nicht provozieren. Entweder war es Zo’or leid, sich ständig verteidigen zu müssen, oder er hatte seine Strategie gewechselt. Er wischte ein paar Mal lustlos durch den Datenstrom und zog sich dann wortlos in sein Quartier zurück.
„Ignorieren ist auch eine Form des Eingeständnisses. Gib zu, dir fallen keine Ausreden mehr ein!“ rief ihm T’than höhnisch hinterher.
Der Kriegsminister wirkte zufrieden. Obwohl es für ihn keinen Grund gab, weiter auf der Brücke zu verweilen, blieb er und studierte scheinbar interessiert die Anzeigen einer Konsole.
Es war doch immer wieder erstaunlich, wie spannend Umweltkontrollen sein konnten.
Sandovals Lippen kräuselten sich leicht. Taelons waren leicht zu durchschauen, wenn man erst einmal ihre Schwächen kannte. Als er von seiner eigenen Station aufsah, begegnete ihm der Blick eines Freiwilligen, der ihn neugierig musterte. Der FBI-Agent sah so eisig zurück, dass der junge Mann rasch das Weite suchte.
Es dauerte nicht lange und T’han gesellte sich zu Sandoval.
„Pflichterfüllt wie eh und je“, begann der Kriegsminister.
Der Asiate sah nicht auf.
„Zo’or legt großen Wert auf eine einwandfreie Durchführung sämtlicher Aufgaben.“
„Gewiss. Er gibt sich zumindest Mühe, das Mutterschiff zu kontrollieren“, erwiderte der Taelon etwas abfällig.
Worauf wollte er hinaus?
Sandoval startete einige Diagnoseprogramme. Das verschaffte ihm etwas Zeit, um über T’thans Bemerkung nachzudenken. Plante der Kriegsminister etwas?
„Ich denke, Sie sind ein schlauer Mann, Mr. Sandoval“, sagte T’than. „Sie wissen, dass Zo’ors Tage gezählt sind. Es hat in der Vergangenheit einige sehr kritische Situationen ergeben, aus denen er sich nur mit großer Mühe retten konnte. Einen weiteren Fehler oder eine Schwäche“, er betonte das letzte Wort, „wird die Synode nicht mehr dulden. Seien Sie kein Narr, der aus falsch verstandener Treue zu jemanden hält, dessen Untergang bereits feststeht. Wenn Zo’or fällt, dann fallen auch Sie. Oder denken Sie, dass der neue Synodenführer daran interessiert ist, den Vasallen seines Vorgängers zu übernehmen?“
Sandoval war ein Opportunist vom Scheitel bis zur Sohle. Der tragische Verlauf seines Lebens hatte aus dem einst freundlichen und liebevollen Ehemann einen verschlossenen, kalten Einzelgänger gemacht, der rücksichtslos seine eigenen Ziele verfolgte.
„Meine Loyalität gehört allen Taelons, T’than. Sie können versichert sein, dass ich immer mein Bestes geben werde.“
Der Kriegsminister warf ihm einen listigen Blick zu.
„Das ist die richtige und zugleich falsche Antwort, Mr. Sandoval.“
Der Agent sah ihn an und verstand.
„Ich bin immer gewillt, mein Können unter Beweis zu stellen, T’than, ohne Rücksicht auf meine derzeitige Position.“
Der Taelon nickte zufrieden.
„Ich denke, jetzt verstehen wir einander“, sagte er.
T’than bewegte sich rasch durch die Korridore des Mutterschiffes und sah sich dabei mehrfach um. Er befand sich in dem Teil, welcher von den Taelons, die an Bord beschäftigt waren oder sich hier aufhielten, für ihre privaten Quartiere genutzt wurden. So auch Mit’gai, dessen Räume der Kriegsminister zielstrebig ansteuerte. Es war ruhig, beinahe lautlos. Obwohl die Taelons keinen Tag-/Nachtrhythmus wie die Menschen kannten, hatten sie seine Nützlichkeit für sich erkannt und ihn übernommen. Die Freiwilligen arbeiteten effizienter. Spezialaufgaben konnten in die „Nachtzeit“ verlegt werden, und auch der eine oder andere Taelon hatte die Nützlichkeit dieser Zeit für sich entdeckt.
„T’than! Dein Besuch überrascht mich“, sagte der Heiler.
„Wäre es mir möglich gewesen, dich in deinem Labor aufzusuchen, so hätte ich es getan“, erwiderte der Kriegsminister. „Zo’ors Handlanger sind um mich herumgeschlichen, dass ich sie schon fragen wollte, ob sie dafür eine Prämie bekommen.“
„Was erwartest du? Es sind Menschen“, erwiderte Mit’gai desinteressiert. „Nun, was ist der Grund deines Besuches?“ Der Heiler wollte den unliebsamen Gast schnell wieder loswerden, damit er sich um seine eigenen Belange kümmern konnte.
„Hast du das, um das ich dich gebeten habe?“
„Ja, das habe ich.“ Mit’gai nahm von einem aus der Wand gewachsenen, regalähnlichen Gebilde ein kleines Fläschchen und hielt es hoch, um die Flüssigkeit darin zu betrachten. „Ich kann dich nur warnen“, sagte er, bevor er das Elixier an den anderen Taelon übergab. „Die Folgen sind unabsehbar. Ich kann zudem nicht einmal garantieren, dass es funktioniert.“
„Es wird seinen Zweck erfüllen.“ T’than klang zuversichtlich. „Zo‘ors hatte seine Chance und nutzte sie nicht. Ich werde die Gemeinschaft zu alter Größe und Stärke zurückführen.“ Dazu vollführte er eine pathetische Handbewegung.
Mit’gai blieb unbeeindruckt.
„Ich weiß.“ T’than winkte ab. „Ihr Lu’yoi macht euch wenig aus Politik. Du gehörst auch nicht zu den Taelons, die sich gerne Ranghöheren anbiedern, weil sie sich davon einen Vorteil versprechen. Aus diesem Grund respektiere ich dich, gerade auch, weil ich weiß, dass deine Kaste für Führende nur dann interessiert ist, wenn es gilt, eine Krise abzuwenden.“
„Wie gesagt, ich kann dich nur warnen.“
„Ich werde schon aufpassen“, antwortete T’than und betrachtete zufrieden die schimmernde Flüssigkeit in dem kleinen Fläschchen.“
Der Kriegsminister verließ den privaten Bereich des Heilers und trat hinaus in den dunklen Korridor. Ein rascher Blick nach allen Seiten versicherte ihm ein unentdecktes Verschwinden. Die Gestalt im Schatten bemerkte er nicht. Es war Sandoval, der langsam hervortrat und sich dann in die entgegengesetzte Richtung aufmachte.
Einige Stunden später machte sich ein weiterer später Gast auf den Weg, Mit’gais Quartier aufzusuchen.
„Zo’or“, sagte der Heiler. „Warum überrascht es mich nicht, dass du zu mir kommst?“
„Weil du es dir ausrechnen konntest, dass mir deine Freundschaft mit T’than nicht entgehen würde.“ Der Synodenführer rauschte sichtbar verärgert an ihm vorbei.
„Ich weiß nicht, wie du auf Freundschaft kommst. Seit Tagen belagert und bedrängt ihr mich abwechselnd und wollt mich für euch einnehmen. Ich bin niemandes Freund, sondern diene einzig und allein der Gemeinschaft.“
„Was hat er dir angeboten?“, fragte Zo’or barsch.
„Das Gold aus deinem Geheimversteck.“
Der Synodenführer stutzte.
„Ich habe kein Geheimversteck. Das ist ein seltsames und zugleich absurdes Angebot.“
„Nun, lass mich überlegen.“ Mit’gai wanderte umher und sortierte die Fläschchen in einem Regal. „Vielleicht habe ich mich geirrt. Vielleicht meinte er einen Kontinent mit Gold, den er mir überlassen will...“
„Mit’gai! Sprich nicht so einen Unsinn. Du weißt genau, dass er dir keinen Kontinent überlassen kann.“
Der Heiler sah ihn ärgerlich an.
„Selbstverständlich weiß ich das. Aber vielleicht hörst du dann auf, mir so unsinnige Fragen zu stellen.“
Ein blaues Leuchten ging über Zo’ors Gesicht. „Ich weiß, dass T’than etwas plant“, presste er hervor.
„Macht er das nicht immer?“
„Ich muss wissen, was es ist.“
Mit’gais Blick ging kurz zum Regal und fixierte ein kleines Fläschchen mit rotem Inhalt. „T’than plant immer etwas“, sagte er rasch, um Zo’ors Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Er will dich absetzen. Das ist doch offensichtlich.“
Zo’or ging auf und ab und betrachtete dabei Mit’gais Reagenzien und Mixturen.
„Gib mir ein Stärkungsmittel“, befahl er dann.
Der Heiler musste ihm den Rücken zukehren, um das Gewünschte hervorzuholen. Zo’ors Finger legten sich rasch um jenes kleine Fläschen, das Mit’gai zuvor angesehen hatte, und ließ es in seiner Hand verschwinden. „Ich habe es mir anders überlegt“, sagte er dann. „Ich benötige doch keine Stärkung.“ Bevor der Lu’yoi noch etwas sagen konnte, hatte der Synodenführer das Quartier verlassen.


Ein ganz gewöhnlicher Morgen auf dem Taelon-Mutterschiff...
Zo’or saß in seinem Stuhl auf der Brücke, als man ihm die Ankunft des Kriegsministers meldete.
„T’than, was verschafft uns die Ehre? Bist du gekommen, um wieder einmal meine Führungsqualitäten in Frage zu stellen, oder handelt es sich um einen neuerlichen Versuch, Da’an und Mit’gai auf deine Seite zu ziehen?“
„Vielleicht möchte ich dir mit meiner Anwesenheit einfach nur den Tag zu versüßen“, erwiderte der General süffisant und kam langsam näher.
„Ich wusste nicht, dass du neuerdings eine Vorliebe für Menschen-Metaphern entwickelt hast“, gab der Synodenführer zurück.
Sandoval, der vor einer Konsole stand, um einige Protokolle abzusegnen, seufzte innerlich auf. Das konnte ja heiter werden. Jeder Einzelne für sich war anstrengend genug; im Doppelpack waren sie geradezu unerträglich.
„Manchmal können auch niedrige Lebensformen etwas Nützliches beisteuern“, sagte T’than und stolzierte provozierend herum.
„Wenn du mir nicht verraten willst, was dich hierherführt, entschuldige mich bitte. Ich habe ein Volk zu retten.“ Zo’or öffnete demonstrativ einen Datenstrom.
„Stell dir vor, das ist auch meine Intention. Und nach dem letzten Vorfall erscheint mir mein Eingreifen umso wichtiger.“
„Ich weiß nicht, wo von du sprichst.“
T’than betrachtete den jungen Taelon, der in seinen Augen nichts anderes war als ein dreistes Kind, das nur durch Zufall die höchste Position des Gemeinwesens erhalten hatte. Verübeln konnte er es ihm nicht, dass er eine Gelegenheit wahrgenommen hatte, die ihm niemals offeriert worden wäre, wäre er, der Kriegsminister an der Entscheidung beteiligt worden. Dies war ein Fehler, den er zu korrigieren beabsichtigte.
„Pesh’tal. Klingelt da was in deinen Ohren, Zo’or?“
„Sprich ordentlich mit mir, Kriegsminister!“, wies ihn der Synodenführer schroff zurecht. „Du kannst mit deinen Menschen-Metaphern vielleicht Da’an beeindrucken, aber hier auf der Brücke sind sie fehl am Platz. Und was das Pesh’tal angeht – der Virus ist gestoppt.“
„Und warum wurde er nicht vollkommen vernichtet?“
„Ich habe meine Gründe dafür.“
„Gründe? Du riskierst das Leben aller Taelons.“
„Das ist völliger Unsinn und beweist nur, wie wenig informiert du bist.“
„Willst du etwa leugnen, dass sich das Virus hier auf dem Mutterschiff befindet?“
„Ich muss nichts leugnen.“ Zo’ors Hand fuhr durch den Datenstrom, ohne wirklich zu erfassen, was dort erschien. T’than ärgerte ihn. Leider konnte er ihn nicht einfach vom Schiff werfen. „Das Virus befindet sich unter Verschluss in Mit’gais Labor. Du kannst dich gerne davon überzeugen.“ Vielleicht wurde er den alten Taelon auf diese Weise los.
„Es ist viel zu gefährlich, um es auf einem Schiff zu lagern und es so vielen Taelons auszusetzen. Es gab bereits einmal eine sehr gefährliche Situation. Du solltest dich gut daran erinnern, Zo’or. Warum gehen wir ein sinnloses Risiko ein?“
„Liegt das nicht auf der Hand?“
„Du meinst, falls das Virus erneut zuschlägt?“ T’than zeigte so etwas wie ein Lächeln, obwohl das eigentlich nicht möglich war, schließlich hatten sämtliche Taelons ihre Gefühle und Emotionen bereits vor langer Zeit verloren. „Theoretisch kann das nicht mehr passieren, denn ich beabsichtige die Kolonie, die uns dieses Relikt vermachte, auszulöschen...“
„Auslöschen?“, fiel ihm Zo’ors ins Wort. „Und was ist mit den Taelons, die dort noch leben?“
„Sie werden sich in Stasis begeben müssen. Es macht wenig Sinn, den Virus an einem Ort zu eliminieren und ihn dann mit seinen Wirtskörpern an eine andere Stelle zu übertragen.“
„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Synode dieser Vorgehensweise zugestimmt hat.“
„Das wird sie, Zo’or. Das wird sie.“
„Sei dir da nicht so sicher.“
„Und ebenso werde ich dafür Sorge tragen, dass auch das Virus an Bord vernichtet wird. Es ist viel zu riskant, es in der Nähe von Menschen zu belassen, die du, Zo’or, noch immer nicht unter deine Kontrolle bekommen hast.“
„Ich habe die Menschen unter Kontrolle. Das wüsstest du, würden dich unsere Belange auf diesem Planeten hier noch ein wenig interessieren.“
„Ganz bestimmt habe ich nicht vor, mich mit primitiven Lebewesen abzugeben...“
Als Liam Kincaid die Brücke des Mutterschiffes betrat, zeigte sich ihm ein beeindruckendes Schauspiel. Zo’or und T’than lieferten sich ein Wortgefecht, was unter Menschen zu einer handfesten Prügelei geführt hätte. Da’an versuchte vergeblich, die Kontrahenten zu beruhigen, während Mit’gai, der ebenfalls anwesend war, immer wieder demonstrativ einwarf: „So kann ich nicht arbeiten!“ Wer von den Freiwilligen keinen Brückendienst hatte, war längst verschwunden. Liam sah lediglich zwei Hauptkonsolen besetzt. Einzig und allein Sandoval ließ sich von dem Streit nicht beeinflussen. Er stand an seinem Pult wie Eisblock, genauso kalt und unnachgiebig.
Als Da’an seinen Beschützer sah, eilte er zu ihm.
„Wie lange geht das schon so?“, fragte Liam.
„Seit Stunden.“ Da’an wirkte gleichermaßen erschöpft wie besorgt. Er verließ die Brücke und trat hinaus auf den leeren Gang. Liam folgte ihm.
„Und wieso streiten sie? Schon wieder.“
„Es geht um das Virus, das Pesh’tal.“
„An dem Zo’or erkrankt war.“ Liam nickte. Er konnte sich noch allzu gut an den Zwischenfall erinnern. „Wieso sind sie sich uneins?“
„T’than würde die Proben, die ich von dem Virus gesichert habe, am liebsten auf der Stelle vernichten“, sagte Mit’gai, der ihnen gefolgt war. „Zo’or dagegen wünscht, dass sie vorgehalten werden, für den Fall, dass es noch einmal zu einer Infektion kommt, was nicht völlig auszuschließen ist.“
„Na ja, sollte sich noch einmal ein Taelon oder ein Mensch damit infizieren, wäre es gut, den Original-Virusstamm zur Hand zu haben“, meinte Liam.
„Jetzt, da wir wissen, dass sich die Menschen ebenfalls infizieren können, werden sie von der weiteren Entwicklung selbstverständlich ausgeschlossen.“
„Dennoch muss berücksichtigt werden, dass ein Gegenmittel unter Umständen benötigt wird“, sagte der Beschützer mit einem Stirnrunzeln. Er wusste, dass dem Heiler die Menschen egal waren und sie keinerlei Priorität bei seinen Forschungen und Entwicklungen hatten.
„Selbstverständlich“, erwiderte Mit’gai nach einem kurzen Blickwechsel mit Da’an.
„Wenn sich Zo’or und T’than nicht einigen können, wird die Angelegenheit der Synode vorgetragen“, sagte der nordamerikanische Companion, um die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem zu lenken.
„Nun, ich kann T’than irgendwie verstehen“, meinte Liam. „Das Virus auf dem Mutterschiff zu lagern, ist nicht ganz ungefährlich. Wenn es in die falschen Hände gerät, kann viel Unheil damit angerichtet werden.“
„Für mein Empfinden ist die Auseinandersetzung zwischen Zo’or und T’than schädlicher als ein Virus, das sich unter Beschluss befindet“, sagte der Taelon-Heiler. „Sie erzeugt Unruhe im Gemeinwesen, und was noch weit schlimmer ist, sie könnte eine Spaltung hervorrufen.“
„Ich muss Mit’gai zustimmen.“ Da’an hatte Liams skeptischen Blick bemerkt. „Sowohl Zo’or als auch T’than haben ihre Anhänger und Befürworter ihrer Strategien. Sollte sich die Mehrheit auf die Seite unseres Kriegsministers stellen, könnte Zo’or abgesetzt werden.“
„Ist das vielleicht seine Absicht?“, fragte Liam. „T’than hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er den gegenwärtigen Kurs der Synode nicht gutheißt. Und vergessen Sie nicht: Als Zo’or durch das Virus ausfiel, hat die Synode T’than als Stellvertreter autorisiert und Sie dabei übergangen.“
„Ich werde die Synode kontaktieren, um zu erfahren, aus welchem Grund T’than hier ist“, entschied Da’an.
„Solange er an Bord ist, herrscht Unfrieden“, bemerkte Mit’gai abschließend und zog sich zurück.
Liam sah ihm nachdenklich hinterher.
„Täusche ich mich oder reagiert Mit’gai ein wenig gereizt?“
Da’an warf ihm verwirrten Blick zu.
„Taelons sind nicht gereizt, Major.“
Sein Beschützer schmunzelte. „Würde mich Zo’or nicht jeden Tag eines Besseren belehren, würde ich Ihnen zustimmen.“
Da sich in der Angelegenheit nichts weiter zu besprechen gab, verabschiedete sich der junge Mann, um sich seinem freien Tag zu widmen, den er eigentlich bereits vor zwei Stunden antreten wollte.
In den kommenden Tagen änderte sich nichts auf dem Mutterschiff. T’than stolzierte herum, führte Gespräche mit Taelons der verschiedensten Kasten und Funktionen und griff Zo’or bei sich jeder bietenden Gelegenheit verbal an. Einen Grund für seine Anwesenheit konnte Da’an nicht in Erfahrung bringen. Routinemäßige Kontrollen der Abwehr, hieß es. Strategieplanung und Ressourcenmanagement nannten es andere.
Zo’or scheute weder die Konfrontation mit dem Kriegsminister noch dessen ständige Vorwürfe. Allerdings ärgerte ihn die defensive Haltung der Synode in der Angelegenheit. Lediglich Da’an ergriff öffentlich Partei für ihn, wenn auch eher aus dem Grund, dass er sich mal wieder schützend vor sein Kind stellte. Wer jetzt auf der Brücke seinen Dienst leisten musste, der versuchte unsichtbar zu werden. Zu diesem Zeitpunkt tolerierte Zo’or nicht den kleinsten Fehler. Selbst Sandoval hatte schon das Weite gesucht und gab vor, irgendwelchen Spuren zu verfolgen, die zum Widerstand führen würden.
Vor allem Mit’gai war ein Leidtragender. Jeder der beiden Kontrahenten versuchte, ihn auf seine Seite zu ziehen. Es ging ihnen dabei längst nicht mehr um das Virus. Der Heiler hatte bei Ausbruch der Taelon-Pest eine Methode gefunden, die Gemeinschaft vor einer weiteren Infizierung zu schützen, nur interessierte das niemanden. Offensichtlich war es Zo’or und T’than wichtiger, genügend Verbündete zu finden. Mit’gai war frustriert, weil er in seiner Arbeit gestört wurde.
Ein paar Tage später. Sandoval hatte seine kleine Auszeit genossen, doch jetzt musste er seine Pflichten auf dem Mutterschiff wieder wahrnehmen und Präsenz zeigen. Zo’or könnte sonst auf die Idee kommen, ihn für überflüssig zu halten.
T’than hatte Zo’or mal wieder auf die Brücke verfolgt, um ihn auf vergangene Fehler aufmerksam zu machen. Einen neuen Streit konnte er dabei nicht provozieren. Entweder war es Zo’or leid, sich ständig verteidigen zu müssen, oder er hatte seine Strategie gewechselt. Er wischte ein paar Mal lustlos durch den Datenstrom und zog sich dann wortlos in sein Quartier zurück.
„Ignorieren ist auch eine Form des Eingeständnisses. Gib zu, dir fallen keine Ausreden mehr ein!“ rief ihm T’than höhnisch hinterher.
Der Kriegsminister wirkte zufrieden. Obwohl es für ihn keinen Grund gab, weiter auf der Brücke zu verweilen, blieb er und studierte scheinbar interessiert die Anzeigen einer Konsole.
Es war doch immer wieder erstaunlich, wie spannend Umweltkontrollen sein konnten.
Sandovals Lippen kräuselten sich leicht. Taelons waren leicht zu durchschauen, wenn man erst einmal ihre Schwächen kannte. Als er von seiner eigenen Station aufsah, begegnete ihm der Blick eines Freiwilligen, der ihn neugierig musterte. Der FBI-Agent sah so eisig zurück, dass der junge Mann rasch das Weite suchte.
Es dauerte nicht lange und T’han gesellte sich zu Sandoval.
„Pflichterfüllt wie eh und je“, begann der Kriegsminister.
Der Asiate sah nicht auf.
„Zo’or legt großen Wert auf eine einwandfreie Durchführung sämtlicher Aufgaben.“
„Gewiss. Er gibt sich zumindest Mühe, das Mutterschiff zu kontrollieren“, erwiderte der Taelon etwas abfällig.
Worauf wollte er hinaus?
Sandoval startete einige Diagnoseprogramme. Das verschaffte ihm etwas Zeit, um über T’thans Bemerkung nachzudenken. Plante der Kriegsminister etwas?
„Ich denke, Sie sind ein schlauer Mann, Mr. Sandoval“, sagte T’than. „Sie wissen, dass Zo’ors Tage gezählt sind. Es hat in der Vergangenheit einige sehr kritische Situationen ergeben, aus denen er sich nur mit großer Mühe retten konnte. Einen weiteren Fehler oder eine Schwäche“, er betonte das letzte Wort, „wird die Synode nicht mehr dulden. Seien Sie kein Narr, der aus falsch verstandener Treue zu jemanden hält, dessen Untergang bereits feststeht. Wenn Zo’or fällt, dann fallen auch Sie. Oder denken Sie, dass der neue Synodenführer daran interessiert ist, den Vasallen seines Vorgängers zu übernehmen?“
Sandoval war ein Opportunist vom Scheitel bis zur Sohle. Der tragische Verlauf seines Lebens hatte aus dem einst freundlichen und liebevollen Ehemann einen verschlossenen, kalten Einzelgänger gemacht, der rücksichtslos seine eigenen Ziele verfolgte.
„Meine Loyalität gehört allen Taelons, T’than. Sie können versichert sein, dass ich immer mein Bestes geben werde.“
Der Kriegsminister warf ihm einen listigen Blick zu.
„Das ist die richtige und zugleich falsche Antwort, Mr. Sandoval.“
Der Agent sah ihn an und verstand.
„Ich bin immer gewillt, mein Können unter Beweis zu stellen, T’than, ohne Rücksicht auf meine derzeitige Position.“
Der Taelon nickte zufrieden.
„Ich denke, jetzt verstehen wir einander“, sagte er.
T’than bewegte sich rasch durch die Korridore des Mutterschiffes und sah sich dabei mehrfach um. Er befand sich in dem Teil, welcher von den Taelons, die an Bord beschäftigt waren oder sich hier aufhielten, für ihre privaten Quartiere genutzt wurden. So auch Mit’gai, dessen Räume der Kriegsminister zielstrebig ansteuerte. Es war ruhig, beinahe lautlos. Obwohl die Taelons keinen Tag-/Nachtrhythmus wie die Menschen kannten, hatten sie seine Nützlichkeit für sich erkannt und ihn übernommen. Die Freiwilligen arbeiteten effizienter. Spezialaufgaben konnten in die „Nachtzeit“ verlegt werden, und auch der eine oder andere Taelon hatte die Nützlichkeit dieser Zeit für sich entdeckt.
„T’than! Dein Besuch überrascht mich“, sagte der Heiler.
„Wäre es mir möglich gewesen, dich in deinem Labor aufzusuchen, so hätte ich es getan“, erwiderte der Kriegsminister. „Zo’ors Handlanger sind um mich herumgeschlichen, dass ich sie schon fragen wollte, ob sie dafür eine Prämie bekommen.“
„Was erwartest du? Es sind Menschen“, erwiderte Mit’gai desinteressiert. „Nun, was ist der Grund deines Besuches?“ Der Heiler wollte den unliebsamen Gast schnell wieder loswerden, damit er sich um seine eigenen Belange kümmern konnte.
„Hast du das, um das ich dich gebeten habe?“
„Ja, das habe ich.“ Mit’gai nahm von einem aus der Wand gewachsenen, regalähnlichen Gebilde ein kleines Fläschchen und hielt es hoch, um die Flüssigkeit darin zu betrachten. „Ich kann dich nur warnen“, sagte er, bevor er das Elixier an den anderen Taelon übergab. „Die Folgen sind unabsehbar. Ich kann zudem nicht einmal garantieren, dass es funktioniert.“
„Es wird seinen Zweck erfüllen.“ T’than klang zuversichtlich. „Zo‘ors hatte seine Chance und nutzte sie nicht. Ich werde die Gemeinschaft zu alter Größe und Stärke zurückführen.“ Dazu vollführte er eine pathetische Handbewegung.
Mit’gai blieb unbeeindruckt.
„Ich weiß.“ T’than winkte ab. „Ihr Lu’yoi macht euch wenig aus Politik. Du gehörst auch nicht zu den Taelons, die sich gerne Ranghöheren anbiedern, weil sie sich davon einen Vorteil versprechen. Aus diesem Grund respektiere ich dich, gerade auch, weil ich weiß, dass deine Kaste für Führende nur dann interessiert ist, wenn es gilt, eine Krise abzuwenden.“
„Wie gesagt, ich kann dich nur warnen.“
„Ich werde schon aufpassen“, antwortete T’than und betrachtete zufrieden die schimmernde Flüssigkeit in dem kleinen Fläschchen.“
Der Kriegsminister verließ den privaten Bereich des Heilers und trat hinaus in den dunklen Korridor. Ein rascher Blick nach allen Seiten versicherte ihm ein unentdecktes Verschwinden. Die Gestalt im Schatten bemerkte er nicht. Es war Sandoval, der langsam hervortrat und sich dann in die entgegengesetzte Richtung aufmachte.
Einige Stunden später machte sich ein weiterer später Gast auf den Weg, Mit’gais Quartier aufzusuchen.
„Zo’or“, sagte der Heiler. „Warum überrascht es mich nicht, dass du zu mir kommst?“
„Weil du es dir ausrechnen konntest, dass mir deine Freundschaft mit T’than nicht entgehen würde.“ Der Synodenführer rauschte sichtbar verärgert an ihm vorbei.
„Ich weiß nicht, wie du auf Freundschaft kommst. Seit Tagen belagert und bedrängt ihr mich abwechselnd und wollt mich für euch einnehmen. Ich bin niemandes Freund, sondern diene einzig und allein der Gemeinschaft.“
„Was hat er dir angeboten?“, fragte Zo’or barsch.
„Das Gold aus deinem Geheimversteck.“
Der Synodenführer stutzte.
„Ich habe kein Geheimversteck. Das ist ein seltsames und zugleich absurdes Angebot.“
„Nun, lass mich überlegen.“ Mit’gai wanderte umher und sortierte die Fläschchen in einem Regal. „Vielleicht habe ich mich geirrt. Vielleicht meinte er einen Kontinent mit Gold, den er mir überlassen will...“
„Mit’gai! Sprich nicht so einen Unsinn. Du weißt genau, dass er dir keinen Kontinent überlassen kann.“
Der Heiler sah ihn ärgerlich an.
„Selbstverständlich weiß ich das. Aber vielleicht hörst du dann auf, mir so unsinnige Fragen zu stellen.“
Ein blaues Leuchten ging über Zo’ors Gesicht. „Ich weiß, dass T’than etwas plant“, presste er hervor.
„Macht er das nicht immer?“
„Ich muss wissen, was es ist.“
Mit’gais Blick ging kurz zum Regal und fixierte ein kleines Fläschchen mit rotem Inhalt. „T’than plant immer etwas“, sagte er rasch, um Zo’ors Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Er will dich absetzen. Das ist doch offensichtlich.“
Zo’or ging auf und ab und betrachtete dabei Mit’gais Reagenzien und Mixturen.
„Gib mir ein Stärkungsmittel“, befahl er dann.
Der Heiler musste ihm den Rücken zukehren, um das Gewünschte hervorzuholen. Zo’ors Finger legten sich rasch um jenes kleine Fläschen, das Mit’gai zuvor angesehen hatte, und ließ es in seiner Hand verschwinden. „Ich habe es mir anders überlegt“, sagte er dann. „Ich benötige doch keine Stärkung.“ Bevor der Lu’yoi noch etwas sagen konnte, hatte der Synodenführer das Quartier verlassen.