17.12.2019, 17:19
Viel Spass mit dem heutigen Türchen!
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, sah sich um, tat aber weiter nichts. Augur, der jetzt die Kokosnüsse hatte, rauschte in die Küche und schaltete, der Geräuschkulisse nach zu urteilen, die Kaffeemaschine ein.
"Ron", sagte Ava, "Wir sollten einfach abwarten, bis Liam von selbst wieder rauskommt."
"Ja, sollten wir wohl." Ron sah zu Ha'gel. "Aber was machen wir mit ihm? Er steht hier rum und leuchtet? Er braucht doch irgendwie eine unauffälligere Gestalt, aber ich will jedenfalls nicht gleich wieder in einem Kokon landen, das passiert mir in meinem Leben offenbar ohnehin oft genug ..."
Der Kimera sah zu ihm, die Energiebahnen verblassten hinter einer taelonähnlichen Fassade inklusive einem blassgelben Anzug mit vereinzelt bläulich-grünem Schimmer.
"Naja ... viel unauffälliger ist das nicht", bemerkte Ron, "aber wenigstens nicht mehr so leuchtstark."
Ha'gel legte wieder den Kopf schief und blinzelte langsam. "Für Sie ist es ein Jahr her, was eben geschehen ist", sagte er, "Dieses Jahr brachte offensichtlich viele Veränderungen."
Ron spürte, dass er verlegen wurde. Er hatte über Ha'gel gesprochen, als wäre dieser nicht da oder würde ihn zumindest nicht verstehen. "Ja, allerdings."
"Liam", stellte Ha'gel fest, "ist mein Sohn."
"Ja."
"Auch der Ihre", ergänzte Ha'gel, "Wann haben Sie davon erfahren?"
"Vor einem Monat ... lineare Zeit." Ron steuerte einen Sitzplatz an und machte es sich nach Möglichkeit auf dem Sofa bequem. "Ich war zunächst doch recht ... erstaunt."
"Nachvollziehbar." Der Kimera wandte sich einem an der Wand hängenden abstrakten Gemälde zu. "Wenigstens hatte Liam seine Mutter."
"Hatte er nicht", erklang von Augur, der mit einem großen Pott Kaffee aus der Küche zurück kam. "Doors ließ ihre Erinnerungen an ihre Ermittlung gegen Lili, die Entdeckung des Widerstandes und ihr folgenreiches Schäferstündchen mit einem Alien löschen. Sie war daher dann ebenso wie er hier", er wies auf Ron, "braver Taelondiener ohne eigene Gedanken."
"Wer hat Liam dann aufgezogen?"
Augur blieb stehen und runzelte die Stirn. "Äh ... ich ... offenbar", sagte er, "und Lili auch."
"Ich kenne Sie nicht", bemerkte Ha'gel, "aber über Lili Marquette weiß ich von Siobhán genug, dass ich beruhigt sein kann. Liam wurde gut aufgezogen." Er hob eine Hand und folgte mit einem Finger angedeutet einem roten Pinselstrich. "Seine Mutter sollte aber von ihm erfahren", sagte er, "Ihr Imperativ ist nicht stark genug, um gegen all das Wissen, das ich ihr gegeben habe, anzukommen."
"Sie ist tot", sagte Ron, "zu unser aller Bedauern."
Ha'gel wandte sich um. "Und auch nicht zu retten?"
"Nein."
Er sah an ihm vorbei und seine Fassade wurde für einige Momente durchscheinend, dann fasste er sich wieder. Und dann löste sich seine Fassade einen Augenblick lang fast völlig auf. Ha'gel starrte in Rons Augen. "Ich spürte gerade einen Taelon sterben!"
Das war überraschend.
Eine halbe Minute später platzte Liam im Schlafanzug durch die Tür des Gästezimmers wieder in den Hauptraum und rief: "J'dan ist tot! Augur, finde heraus, wo er gerade war und wer sonst dort ist!" Er stürmte quer durch den Raum zum Zeitportal und legte seine Hand in die Einbuchtung. "Und finde Melody! Hat sie etwas damit zu tun?"
"Sie haben das gespürt?", fragte Ron, "Sie haben doch damals ..."
"Da'an hat angerufen. Er hofft, dass dasselbe wie bei Zo'or passiert ist." Liam drehte sich zu Augur, der auf sein Global starrte. "Wo ist Melody?"
"Offenbar im Flat Planet", stellte der Hacker fest, "mit Lili."
"Zo'or?"
Er wischte kurz über den Bildschirm. "In seiner Zelle, nach wie vor."
Ron machte einige Schritte zu Liam. "J'dan hat nicht wenige Feinde, allen voran Sa'mar."
"Der ist Justizminister! Der hat doch andere Möglichkeiten als ihn einfach um die Ecke zu bringen!"
"R'am", ergänzte Ron, "Der ist nicht zimperlich, kann ich aus eigener Erfahrung sagen."
Liam rauschte zurück ins Gästezimmer, kurz später kam er in Jeans wieder und suchte im Pulli die Ärmel. "Augur? Hast du was? Wo war er?"
"Jedenfalls nicht auf dem Mutterschiff", sagte der Hacker, "Er hat vor 22 Minuten ein Portal benutzt, aber ich finde das Ziel nicht. Vermutlich nicht auf der Erde."
"Findest du die Kennung nicht oder den Standort?"
"Standort."
Liam humpelte mitten darin, eine Socke anzuziehen, zum Portal und legte wieder seine Hand in die Einbuchtung. "Schleife von unserer Rückkehr bis in zehn Minuten", sagte er, "Stell das Ziel ein, ich sehe mich dort kurz um."
Augur rollte mit den Augen, aber er gehorchte. In einer Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes entfaltete sich ein Interdimensionsportal.
"Ich komme mit", sagte Ron, "Ich lasse Sie doch nicht alleine in eine wahrscheinlich lebensgefährliche Situation rennen!"
"Es sind ja nur zehn Minuten!", gab Liam zurück.
Ron beharrte energisch: "Trotzdem!", und stellte sich ins Portal, der Kimerahybrid schlüpfte noch schnell in einen linken und einen rechten Schuh und stellte sich dann neben ihn.
Augur löste den Transport aus.
Einen Moment später war Ron klar, dass er lieber daheim geblieben wäre und auch besser Liam überzeugt hätte, dasselbe zu tun. Ohne Atemluft und Boden unter den Füßen schwebte der Implantant im Nichts zwischen den Sternen. Seine Augen schmerzten, die Lippen kribbelten, und es war trotz CVI schwer, dem Drang, die Luft anzuhalten, nicht nachzugeben.
Vorsichtig streckte er seinen rechten Arm seitwärts, zielte kurz, und schoss, dass Liam in bunte Energie zerplatzte. Der nächste Schuss fiel deutlich schwerer, gelang aber dennoch, denn Ron spürte statt eines langwierigen Erstickungstodes nur den kurzen Schmerz eines zielgenauen Kopfschusses.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, sah sich um, tat aber weiter nichts.
Einen Moment später kam Liam aus dem Gästezimmer wieder heraus. "Bah ...", sagte er und schüttelte sich, "Zum Glück waren Sie mit, Ronald. Tod im Vakuum wäre viel schlimmer gewesen als Tod durch Skrill."
"Vakuum?", fragte Augur, zwei Kokosnüsse unter dem Arm, nach.
"Das Portal ist im Weltall. Nicht auf einem Schiff oder einer Station, sondern einfach nur im Weltall."
"Ist J'dan eventuell daran gestorben?", fragte Ava, "Wie lange hält ein Taelon das Weltall aus?"
"Wenn seine Fassade intakt ist, mitunter über etliche Stunden", sagte Ha'gel.
"Wenn seine Fassade nicht intakt ist?", fragte Augur, "Zwanzig Minuten?"
"Nein, auch dann überlebt er deutlich länger."
"Gilt das auch für Kimera?"
Ha'gel legte den Kopf schief und musterte den Hacker. "Das gilt genauso auch für Kimera", bestätigte er, "Möchten Sie mich durch dieses Portal schicken? Sie haben Recht, wenn Sie meinen, dass ich dort länger überleben und mich daher dort besser umsehen kann." Eine dünne Schicht bildete sich an der Grenzfläche seines Energiekörpers und wurde dichter, bis sie eine helle Fassade samt blassgelbem Anzug war. "Ich bin bereit, diese Aufgabe zu erfüllen."
Liam starrte ihn an. "Ähm ..."
"Wenn er das schon anbietet ...", bemerkte Augur, "Ich sehe, ob ich die Portalkennung aus dem Gedächtnis zusammenkriege." Er ließ die Kokosnüsse kurzerhand fallen und widmete sich seinem Global. In der Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes entfaltete sich ein Interdimensionsportal.
Ha'gel festigte sichtbar seine Fassade, dann stellte er sich zwischen die Streben und wartete ab.
Augur wirkte überaus konzentriert, doch dann seufzte er, zuckte mit den Schultern und sagte: "J'dan ist soeben dort angekommen, ich habe die Portalkennung. Ist vermutlich eh die beste Zeit, etwas zu erfahren." Er löste kurzerhand den Transport aus und Ha'gel verschwand.
Liam starrte den Hacker mit offenem Mund an. "Möchtest du nicht eventuell vor solchen Aktionen den Anführer des Widerstandes fragen?"
"Was hättest du gesagt?"
Der Hybrid runzelte die Stirn, seufzte und setzte sich aufs Sofa. "Hm, vermutlich erst mal Nein. Er ist doch ..."
"Für einen Zeitreiseanfänger hat er schnell begriffen, worauf es ankommt", bemerkte Ron, "Ignorieren Sie das nicht. Außerdem ist er zu alt, um von Ihnen gegen seinen Willen beschützt zu werden."
Liam seufzte noch einmal. "Er ist trotzdem mein Vater und noch immer geschwächt von Gefangenschaft und Flucht."
"Aber das ist eine Zeitschleife", sagte Augur, "Was immer ihm dort passiert, ist nicht von Dauer. Außerdem wissen wir alle ja sehr genau, wann genau er woran genau stirbt, und es ist nicht das Vakuum bei dem Portal da draußen."
Und wieder seufzte Liam. "Du hast ja Recht ..."
Ron sah kurz zu Ava, die mit den Augen rollte. "Kommen Sie, Liam", sagte er dann, "Trinken wir eine Tasse Tee, das gehört zum Abwarten immerhin dazu." Er ging voraus in die Küche.
Liam folgte ihm tatsächlich und öffnete die Schublade, in der sich die Teebeutel befanden. Er zupfte einen Beutel Winterzaubertee aus einer Schachtel und warf ihn in eine Tasse, im von Ron befüllten Wasserkocher brodelte es bald.
Ava befüllte ein Tee-Ei mit grünem Tee und hielt ebenfalls eine Tasse bereit. Wenig später füllte Ron diese beiden Tassen und noch eine dritte für sich selbst, in die er dann einen Beutel Früchtetee tauchte.
Augur nahm auch in diesem Durchgang mit Kaffee vorlieb, allerdings machte er keinen großen Pott, sondern ließ sich nur vom Vollautomaten ein kleines Tässchen füllen.
Alle vier nahmen sie am Tisch in der Küche Platz und nippten an ihren Getränken.
Lange hatten sie dafür nicht. Das Wasser hatte fast eine Minute gebraucht, um zu kochen, der Tee musste fünf bis acht Minuten, je nach Sorte, ziehen, und die Schleife endete ja bereits zehn Minuten nach J'dans Tod, so dieser in diesem Durchgang zur selben Zeit geschähe.
Tatsächlich hatte nur Augur seine Tasse geleert, als der Rücksprung stattfand.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug.
Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, bildete sogleich seine Fassade, während er kurz abwartete, bis Liam aus dem Gästezimmer wieder heraus kam. Dann erklärte er: "Ich habe J'dan gesehen. Er war tatsächlich im Vakuum des Weltalls und hatte das offensichtlich nicht erwartet. Seinen, und auch meinen, Tod verursachte allerdings ein jaridianischer Kampfkreuzer."
"Hat J'dan Sie bemerkt?", fragte Augur, wieder mit zwei Kokosnüssen unter dem linken Arm.
"Hat er. Er schrieb seine missliche Lage zweifellos zunächst mir zu."
"Jaridians", sagte Liam, "Also war das Portal ursprünglich in einem Schiff drin und sie haben es rausgenommen ..."
Ha'gel nickte. "Ja, das halte ich für sehr wahrscheinlich." Er legte den Kopf schief. "Vermutlich dient das der Prävention von Angriffen durch Implantanten", fuhr er fort, "Die Alternative wäre, das Portal zu zerstören, aber das würde die Jaridians auch der Möglichkeit berauben, es selbst zur Infiltration taelonischen Gebietes zu nutzen."
Ron runzelte die Stirn und überlegte kurz. "Wie viel wissen Sie über die Kriegstaktiken der Jaridians?"
"Wenig. Ich weiß aber, dass sie nicht über den Interdimensionsantrieb verfügen, entsprechend würden sie erbeutete Transportmittel wohl nach Möglichkeit eher nutzen als zerstören."
"Wie halten die sich überhaupt gegen die Taelons?", fragte Augur ehrlich verwirrt, "Die Taelons können ihnen doch mit dem Interdimensionsantrieb direkt in die Hauptstadt, oder was auch immer die Jaridians haben."
"Sie haben Möglichkeiten, durchs All zu reisen, auch schneller als das Licht", sagte Ha'gel, "aber diese sind dem Interdimensionsantrieb deutlich unterlegen."
"Wie funktionieren die denn?"
"Das weiß ich leider nicht."
"Schade ...", sagte Augur, "Liam, das wäre etwas, was man mit einer Zeitreise herausfinden könnte!"
"Sprünge aus einer Schleife heraus sind nicht möglich", erklärte Liam geduldig, "Wir können die Schleife verlängern, verkürzen, auch mal innerhalb der Schleife reisen oder weitere Schleifen einrichten, aber wir können nicht raus, bevor nicht alle Schleifen aufgelöst sind."
"Ich meine ja nur!", gab Augur zurück, "Irgendwann halt. Nützlich zu wissen wäre es definitiv!"
"Zugegeben, damit hast du Recht", sagte Liam jetzt, "Hast du dir die Portalkennung gemerkt?"
"Kriege ich zusammen."
"Kannst du das Portal kaputtmachen?"
"Ich könnte zum Beispiel eine Handgranate hinschicken, wenn du zufällig eine bei der Hand hast."
"Äh ... nein, habe ich nicht." Er straffte sich. "Okay, kannst du das Portal hierher weiterleiten?"
Augur nickte. "Müsste gehen." Er ließ die Kokosnüsse fallen und sein Global aufschnappen. In der Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes entfaltete sich wieder das Interdimensionsportal. "So, das wären die Befehle, jetzt noch übermitteln ..." Das Portal aktivierte sich, ohne etwas zu transportieren. "Ob es geklappt hat, sehen wir, wenn J'dan das Portal benützt."
Nur sehr kurz später stellte sich heraus, dass es tatsächlich geklappt hatte. Das Portal aktivierte sich und ein Taelon, selbst für einen Taelon sehr groß, erschien darin.
J'dan wandte sich um und starrte die fünf an. "Was geht hier vor?", fragte er mit schneidender Stimme.
"Ich habe gerade Ihr Leben gerettet", sagte Augur fast beiläufig, während er die Kokosnüsse wieder aufhob, "Ihr eigentliches Zielportal befindet sich direkt vor den Waffen eines jaridianischen Kampfkreuzers."
Der Taelon stolzierte gemächlich quer durch den Raum. "Für mich ist der Unterschied gering, ob mich Jaridians töten oder ein Kimera und menschliche Verräter!"
"Dem wäre so, hätten der Kimera und die menschlichen Verräter tatsächlich diese Absicht", gab Augur ärgerlich zurück, "Ich fände Dankbarkeit recht angebracht, aber das ist für Taelons ja unter ihrer hochgezüchteten Würde ..."
J'dan verlor für einen Moment seine Fassade. Ron meinte, ein entsetztes "Frechheit!" herauslesen zu können.
"Weshalb wollten Sie zu Ihrem eigentlichen Zielportal?", ergriff Liam das Wort, "Hat jemand Sie geschickt?"
Der Taelon musterte ihn mit überheblichem Blick, nach einigen Momenten sagte er: "Ich erkenne Sie, Major Kincaid!" Er sah zu Ron. "Agent Sandoval. Da Sie Ihre hohen Stellungen in den Rängen der Companionsicherheit zweifellos behalten wollen, erwarte ich meinen Tod und werde Ihnen keinerlei Informationen geben."
Liam seufzte und rollte mit den Augen. "Naja, es war einen Versuch wert." Er drehte sich um. "Augur, im nächsten Durchgang leitest du das Portal irgendwo anders hin weiter. Von mir aus zu Da'an oder wo auch immer."
Augur nickte. "Kein Problem, mache ich."
"Gut. Ich hole mir ein Stück Schokolade." Liam marschierte in die Küche und rief noch zurück: "Für Tee reicht die übrige Zeit ja nicht mehr."
Ron trat auf J'dan zu und musterte den Taelon seinerseits. "Ehrlich gesagt erscheinen Sie mutiger, als ich erwartet hätte", sagte er, "Ihre klare Weigerung, Informationen preiszugeben, entspricht nicht dem Bild, das Zo'or oder T'than vermitteln."
"Weder Zo'or noch T'than stellen Beispiele für das taelonische Ideal dar!", gab J'dan zurück.
"Dafür hat die Synode die beiden aber erstaunlich lange toleriert!"
Der Taelon reckte die Nase in die Höhe und verlangte: "Töten Sie mich, Agent Sandoval!"
Nun, wenn Ron das so direkt befohlen wurde, dann konnte er da wohl kaum Nein sagen. Er hob seinen Skrillarm und schoss, worauf J'dan sich in blaue Energiefetzen auflöste und weiters ein Loch in der Landschaft hinterließ.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, bildete sogleich seine Fassade.
Ava wartete kurz ab, bis Liam aus dem Gästezimmer wieder heraus kam, dann kommentierte sie: "J'dan einfach zu erschießen war nicht gerade die feine englische Art, auch wenn er es verlangt hat!"
"Vielleicht nicht, aber es hat sich gut angefühlt."
"Vermutlich sollte ich das als bedenklich ansehen", bemerkte sie, "aber ich kann dich verstehen."
"Augur, leitest du ihn weiter?", fragte Liam.
Augur ließ auch diesmal kurzerhand die Kokosnüsse fallen und widmete sich seinem Global. "Ja, zu Da'an", sagte er, "Und was dann?"
"Dann gehe ich auch zu Da'an und sehe, ob ich herausfinden kann, was J'dan bei seinem Zielportal eigentlich machen will." Liam ging zum Portal und legte seine Hand in die Einbuchtung. "Ich habe die Schleife auf zwei Stunden verlängert."
Augur zuckte mit den Schultern. "Genug Zeit für reichlich Kaffee." Er hob die Kokosnüsse wieder auf und begab sich in die Küche.
Liam eilte in die Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes, wo sich sogleich das Interdimensionsportal entfaltete. Er stellte sich zwischen die Streben und war einen Moment später verschwunden.
Ron sah zu Ava. "Zwei Stunden also. Was tun wir?"
"Früher oder später werden wir überlegen müssen, wie wir Boone retten", bemerkte sie, "Warum erzählst du nicht, wie er gestorben ist?"
"Weil ich ungern zugebe, einfach zugesehen zu haben." Er seufzte und schlenderte zum Sofa, auf das er sich dann setzte, Ava nahm ebenfalls Platz. "Boone war schwer verletzt, aber stabil", erklärte er, "Der Heiltank funktionierte, Da'an erwog auch eine geringe Grundenergiegabe, die die Heilung massiv beschleunigt hätte."
"Ein Taelon hätte Energie für einen Menschen geopfert?", fragte Ha'gel.
"Da'an, ja. Zo'or niemals."
"Ich weiß aus Ihren Erinnerungen, dass Sie Da'an vorzogen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sich diese beiden Taelons tatsächlich in solchen Belangen unterscheiden."
Ron runzelte die Stirn. "Warum hat Liam Da'an dann so schnell vertraut?"
Ha'gel kam mit schnellen Schritten näher, er wirkte besorgt. "Er hat ihm vertraut?"
"Da'an wusste von sehr früh an, ich weiß nicht genau, seit wann, dass Liam Kimera ist!", sagte Ron, "Es ist sehr erstaunlich, dass diese Unverantwortlichkeit Liam nicht das Leben gekostet hat."
"Allerdings. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie es dazu kommen konnte."
"Ich auch nicht ..." Ron seufzte. "Ich habe ihn bisher auch nie gefragt, das sollte ich nachholen."
Ha'gel ließ sich auf einen Sofasessel sinken. "Ja, das sollten Sie."
Augur kam aus der Küche zurück, mit einem großen Pott Kaffee setzte er sich zu den anderen. "Worüber redet ihr gerade?", fragte er.
"Wir rätseln, warum Liam Da'an vertraut hat", bemerkte Ron.
"Weil Da'an ihn nicht verpfiffen hat, darum", sagte Augur.
"Nein, warum hat Liam sich als Kimera offenbart?"
Der Hacker sah verdutzt auf, dann musste er laut lachen. "Das ist doch Ihre Schuld!", rief er, "Liam hatte die Wahl, von der Jaridiansonde erledigt zu werden oder Shaqarava zu benutzen. Taugliche Waffe hatte er ja keine."
Taugliche Waffe! Ron machte: "Oh!"
"Was?", fragte Ava verwirrt.
"Zo'or hat Da'an als Köder für die Jaridiansonde benutzt", erklärte Ron, "und ihm zum Schutz einen unimplantierten Hitzkopf ohne taugliche Waffe überlassen. Absichtlich."
"Liam hat damit gerechnet, dass Zo'or ihn nicht implantieren lässt, genau dafür hat er ja den Hitzkopf gespielt bei der Bewerbung", warf Augur ein, "Mit der untauglichen Waffe hat er nicht gerechnet."
Er hatte den Hitzkopf gespielt? Ron spürte, dass sich sein Unterkiefer nach unten verabschiedete. So sehr hatte Liam ihn schon bei der Bewerbung an der Nase herumgeführt? Er hatte ihn gekannt, sehr gut gekannt, hatte ja bis auf wenige Tage sein gesamtes Gedächtnis gehabt. Liam hatte Ron so gut einschätzen können, dass er das Bewerbungsgespräch kontrolliert hatte, nicht Ron!
"Wow!", sagte Ava, "Das habe ich noch nie gesehen."
Augur sah auf. "Hm? Was?"
"Ron ist platt", kommentierte sie, "Das hat nicht einmal Melody in Irland geschafft."
"Hätte sie es schaffen sollen?", fragte Ha'gel nach.
Ron klappte seinen Mund zu und befeuchtete seine Lippen. "Damals in Irland", sagte er, "war Liam platt."
Der Kimera legte den Kopf schief. "Weshalb?"
"Sie ist Ma'el."
Beinahe hätte man meinen können, auf diese Aussage hin wäre auch Ha'gel platt. Ron hätte das jedenfalls nur gerecht gefunden.
"Ich erinnere mich an die Suche nach Ma'els Grab", sagte der Kimera nun, "und darin waren Überreste, bis sie sich verflüchtigen konnten."
"Nur die Hauptenergiebahnen!" Unisono gesprochen von Ron, Ava und Augur.
"Ich verstehe nicht", gab der Kimera zu, "Die Hauptenergiebahnen bleiben beim Tod durch Energiemangel am längsten aktiv, sie sind also genau das, was ich in einem hermetisch abgeriegelten Sarg von einem Taelon erwarten würde."
"Das mag ja sein", bemerkte Ron, "aber die anderen Energiebahnen hat Ma'el mit einem tödlich verletzten menschlichen Kind verschmolzen, eben mit Melody."
Ein bläulich-gelber Schimmer blitzte kurz durch Ha'gels Fassade. "Erstaunlich", sagte er nur.
Augur stellte seinen inzwischen nur mehr halbvollen Pott Kaffee auf den Sofatisch und richtete sich auf. "Wir brauchen doch Melody, um Boone zu retten, richtig?", fragte er, "Ich rufe sie her, dann können wir da zu planen anfangen." Er zückte sein Global und ließ es aufschnappen.
Einen Moment später drang die Geräuschkulisse einer Bar aus dem kleinen Lautsprecher, dann auch ein vergnügtes "Ja?".
"Teuerste Melody, würden Sie uns bitte Gesellschaft leisten?"
"Sind Sie etwa eifersüchtig auf den heutigen Damenabend?"
"Nein, Sie dürfen mit Lili so viele Cocktails trinken, wie Sie wollen. Ich möchte Ihnen aber jemanden vorstellen." Er drehte sein Global etwas zu Ha'gel.
Es klackerte und schepperte aus dem Global, auf dem Gesicht des Kimera fand sich ein Grinsen bis zu den Ohren ein.
Ava lehnte sich nach vorne und fragte: "Ist sie platt?"
"Ihr ist das Global runtergefallen!", wisperte Augur.
Jetzt war Rascheln zu hören, dann ein kurzes Klappern, dann erklang Lilis Stimme: "Wir sind unterwegs!"
Augur schob sein Global zu und grinste. "Ja, Melody ist platt."
Ron sah auf den Pott Kaffee und beschloss, dass er auch einen wollte. Er stand auf und ging in die Küche. Die Packungen Kaffeepulver und Kaffeefilter lagen offen herum, Ron bediente sich und füllte auch Wasser in die Maschine. Dann stellte er ebenfalls einen großen Pott darunter und drückte den Schalter.
"Bist du immer noch platt?", fragte Ava von der Türe.
Er sah zu ihr. "Es geht. Mir war ja durchaus klar, dass er sein Wissen über mich gut genutzt hat."
"Im Endeffekt warst du aber vor allem platt, weil er nicht genug über dich wusste", widersprach sie, "Du hast ihm eine untaugliche Waffe gegeben und er hat nicht damit gerechnet."
"Ja, das stimmt natürlich." Er starrte in die riesige Tasse, in die langsam die tiefbraune Flüssigkeit tropfte. Warum hatte Augur diese Maschine eigentlich? Augur war doch von seinem programmierbaren Kaffeevollautomaten derart begeistert, warum gab er sich mit Filterkaffee ab?
"War auch nicht die feine englische Art", ergriff Ava wieder das Wort.
"Nein."
"Kannst du eigentlich genau sagen, seit wann du wieder ohne Motivationsimperativ unterwegs bist?", fragte sie.
Er seufzte. "Nein. Es war eher graduell." Er schob die Tasse zurecht, dass sie genau mittig unter dem Filter stand. "Aber zu jenem Zeitpunkt war ich den Taelons schon nicht mehr wirklich hörig, ich wollte Zo'ors Vertrauen, um die Taelons von innen heraus zu bekämpfen."
"Und dafür hast du den ... skrupellosen Taelonschergen gemimt", verstand sie.
"Das wäre viel leichter gewesen, wäre ich damals schon beim Widerstand gewesen", bemerkte Ron, "Es lässt sich leichter den Taelons ein Erfolg liefern, wenn man im Widerstand überlegen kann, was man da nimmt. Deshalb hat mich Liam dann ja immer so übertrumpft."
Er hielt nach der Zuckerpackung Ausschau und warf zwei Zuckerwürfel in den inzwischen halbvollen Pott Kaffee.
"Ich hielt Liam für einen skrupellosen Taelonschergen", ergänzte er, "und die anderen Beschützer, die Freiwilligen und auch die meisten Taelons denken das noch heute."
"J'dan auch?", überlegte Ava, "Das heißt, ohne Ha'gel im Raum hätte er uns vielleicht alles erzählt."
"Wahrscheinlich. Bei Da'an jetzt aber bestimmt auch."
"Ich bin gespannt, was Liam im nächsten Durchgang erzählt", gab Ava zu, "Dass ein Taelon direkt durch einen Jaridianangriff zu Tode kommt, ist ja eher selten."
Liam trat aus dem Portal der nordamerikanischen Botschaft und sah sich um. Das spärliche Licht von den glühenden Adern des organischen Gebäudes hielt die Winternacht nicht fern, es war kaum etwas zu erkennen.
War denn die Außenbeleuchtung der Botschaft nicht aktiv? Offensichtlich nicht, und die nächsten Gebäude waren auch nicht nennenswert erhellt.
Liam trat durch einen Durchgang und fand Da'an meditierend vor. Der Taelon bemerkte ihn aber sofort.
"Major?", fragte er, "Weshalb sind Sie so spät hier?"
"Ich warte auf J'dan."
"J'dan verlässt das Mutterschiff nie", sagte Da'an, "Sie werden sich dorthin begeben müssen, wenn Sie mit ihm sprechen möchten."
"Er wird das Mutterschiff in wenigen Augenblicken verlassen", widersprach Liam, "Ohne Augurs Eingriff würde das zu seinem Tod führen, und käme er zum Widerstand, würde er nichts sagen."
Der Taelon flackerte kurz auf, dann erhob er sich. "Sie machen gerade eine Zeitschleife", verstand er, im nächsten Augenblick war auch schon das Portal zu hören. Er wischte kurz durch die Luft, worauf sich die Räume der Botschaft erhellten.
J'dan kam durch den Durchgang in Da'ans Räumlichkeiten. "Ich bin überrascht, hier zu sein", sagte er auf Eunoia, "Mein eigentliches Zielportal verweigert nun den Transport, aber zunächst wurde ich ungewollt hierher gesendet." Er bemerkte jetzt auch, dass Liam hier war, und bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. "Weshalb lässt du einen Menschen um dich sein, wenn er nicht für seine Pflicht hier sein muss?"
"Er muss für seine Pflicht, Taelons zu schützen, hier sein", antwortete Da'an, ebenso auf Eunoia, "Welches ist dein eigentliches Zielportal?"
"Qa'shava."
"Handelt es sich dabei um die Grenzstation oder einen gleichnamigen anderen Ort?", warf Liam, ebenfalls auf Eunoia, ein, "Ist der Ort sicher oder möglicherweise kompromittiert?"
J'dan sah aus, als würde er entsetzt nach Luft schnappen. Liam kam nicht umhin, zu rätseln, weshalb er diese Mimik zeigte, denn Atmung und Sauerstoffversorgung waren für einen Taelon ja nicht notwendig.
Da'an formte eine bekräftigende Geste. "Major Kincaid mag unhöflich erscheinen, aber seine Fragen beweisen seine Pflichterfüllung. Ich schlage vor, du antwortest ihm."
Weshalb hatte Liam das Gefühl, Da'an nutzte die Zeitschleife, um selbst auch etwas aus dem taelonisch geregelten Leben auszubrechen?
J'dan sah jetzt auch seinen Mittaelon missmutig an, aber er antwortete tatsächlich: "Es handelt sich um die Grenzstation, und sie ist sicher. Ich wurde von Sha'on gebeten, dem Test einer neuen Waffe beizuwohnen." Er ließ seinen Blick jetzt über Liam schweifen, dann wandte er sich wieder Da'an zu. "Du hast also beschlossen, einen Menschen Eunoia zu lehren", sagte er kalt, "Erneut! Es wurde bereits zu deinem vorigen Beschützer vermerkt, dass er unsere Schrift lesen kann."
"Menschen sind dazu in der Lage. Weshalb sollten sie diese Fähigkeiten nicht nutzen?"
J'dan musterte wieder Liam, mit deutlich missbilligendem Blick, aber er sagte dazu nichts mehr. Vermutlich aber nur, weil er ja wusste, dass Liam ihn verstehen konnte.
"Eine Grenzstation ist schon alleine der Definition nach nicht sicher", bemerkte dieser jetzt, "Jederzeit kann der Gegner angreifen. Das könnte durchaus genau zwischen Sha'ons Bitte und Ihrer Abreise geschehen sein."
Wieder schnappte J'dan nach Luft. Es musste mehr als nur reine Mimik sein, denn es war tatsächlich etwas dabei zu hören.
"Er hat Recht", bemerkte Da'an, "Wir sollten Kontakt zur Station suchen, um Genaueres zu erfahren." Er ging einige Schritte und wischte durch seinen Datenstrom.
Einige der Anzeigen sprangen um, schließlich erschien das Abbild eines gehetzt wirkenden Taelons inmitten der durch den Raum rieselnden Lichtfetzen. "Sinaui Euhura, Da'an", sagte der Taelon überaus höflich, er schien in der taelonischen Hackordnung recht weit unten zu stehen.
"Sha'on", grüßte Da'an, "Ich wünsche, den Status deiner Station zu erfahren. Gibt es irgendwelche Besonderheiten oder ungewöhnliche Vorkommnisse?"
Sha'on starrte nur geradeaus. "Nein, nichts Besonderes, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse." Und keinerlei taelontypische Gestik.
Er log. Liam wusste es, Da'an wusste es offensichtlich ebenfalls und auch J'dan hatte es zweifelsfrei erkannt.
"Lass das Portal untersuchen", wies Da'an Sha'on an, "Es lässt sich nicht ansteuern, wie J'dan gerade eben feststellen musste."
Jetzt flackerte Sha'on grellblau auf. "Ja ... ich werde das sogleich veranlassen, Da'an." Er wischte vor sich durch die Luft und sein Abbild in der nordamerikanischen Botschaft löste sich auf.
"Er wird offensichtlich bedroht", sagte Liam, "Ich vermute, die Station wurde vom Gegner eingenommen."
J'dan wandte sich um und stolzierte Richtung Portal. "Ich werde veranlassen, dass die Selbstzerstörung ausgelöst wird."
Da'an setzte an, ihm zu widersprechen, doch Liam hob warnend die Hand und schüttelte den Kopf. Sie warteten schweigend ab, bis der Taelon abgereist war.
"Lassen Sie ihn nur", sagte Liam dann, nun nicht mehr auf Eunoia, "Ich habe neue Informationen, die mir im nächsten Schleifendurchgang neue Möglichkeiten eröffnen werden."
Da'an sah ihn an. "Ich werde Sie in jedem Durchgang dabei unterstützen", sagte er, "Noch besser könnte ich das aber, würde auch ich mich erinnern."
Liam lächelte, schüttelte aber den Kopf. "Es tut mir leid, Da'an, dafür müsste die Situation deutlich schlimmer sein."
"Ich kann und will Sie nicht zwingen, nur bitten."
"Ich werde Sie über die Geschehnisse in den Schleifendurchgängen informieren."
"Das wird genügen", sagte Da'an, "Ich danke Ihnen." Er machte eine hübsche Handbewegung. "Was werden Sie nun tun? Wie lange umspannt die Schleife?"
Liam runzelte die Stirn. "Etwas über zwei Stunden. Erzählen Sie mir von Qa'shava."
Der Taelon hob seine Hand und wischte kurz durch die Luft, worauf es in der Botschaft wieder dunkel wurde, dann trat er ans riesige Fenster aus virtuellem Glas. "Sie ahnen bereits, dass Qa'shava eine sehr, sehr alte Station ist. Sie wurde mehrere hundert Mal umpositioniert, um den Veränderungen des Frontverlaufes Rechnung zu tragen."
"In welche Richtung?"
Da'ans Fassade wurde für einen Moment durchscheinend. "Ausschließlich in Richtung des taelonischen Gebietes."
Liam folgte dem Taelon ans Fenster. "Es steht also sehr schlecht um den Kriegsverlauf", stellte er fest, "anders als damals, als die Taelons gegen die Kimera kämpften."
Da'an war einige Momente lang still. "Was damals unser Vorteil war, die vielen Soldaten unserer unterworfenen Welten, ist nun der Vorteil der Jaridians."
"Wie das?"
"Die Jaridians kennen drei Möglichkeiten, mit taelonisch unterworfenen Welten umzugehen", sagte Da'an, "Zerstörung, Befreiung oder ihrerseits Unterwerfung."
"Zerstörte Welten kämpfen nicht für die Taelons. Befreite Welten kämpfen für die Jaridians. Unterworfene Welten ... ?"
"Unterworfene Welten bauen ihre Kriegsschiffe." Da'an streckte eine Hand aus, so dass sie fast das virtuelle Glas berührte. "Hoffen Sie, dass die Jaridians die Erde nicht finden. Meiner Einschätzung nach würde sie am ehesten zerstört."
"Weshalb?", fragte Liam, "Sollte eine Widerstandsbewegung auf einer taelonisch unterworfenen Welt nicht eher eine Befreiung nahelegen?"
"Der Widerstand wird den Jaridians nichts bedeuten", sagte Da'an, "Die Jaridians werden sehen, dass unimplantierte Menschen mit den Taelons zusammenarbeiten, und das wird ihnen genügen, um die Erde zu zerstören."
"Schade ..."
Einige Momente war es still.
"Da'an, wie viel Grundenergie kostet ein CVI?"
Der Taelon sah ihn überrascht an. "Woher wissen Sie das?"
"Äh ... im Endeffekt von J'dan. In der Schleife vor Zo'ors Menschwerdung hat J'dan beschlossen, Ronald neu zu implantieren, und dabei offenbar die Kosten erwähnt. Ich war allerdings nicht persönlich dabei."
Da'an war weiterhin überrascht. "Agent Sandoval versteht gesprochenes Eunoia?"
"Allerdings! Eunoia ist wirklich nicht so kompliziert, wie Taelons immer behaupten."
"Wissen Sie von einem unimplantierten Menschen, der es versteht?", fragte der Taelon etwas ärgerlich.
Liam sah ihn an und musste grinsen. "Fühlen Sie sich etwa bedroht?"
"Eunoia ist nicht nur eine Sprache, sondern auch eine Denkweise", erklärte Da'an, "Diese Denkweise ist einem CVI alles andere als fremd, daher unterstützt es den Implantanten dabei, Eunoia zu verstehen."
"Professor Rose Plunkett hat kein CVI", sagte Liam, "und nach einem Crashkurs mit Melody versteht sie Eunoia nicht mehr nur geschrieben, sondern auch gesprochen." Er lehnte sich etwas zum virtuellen Glas und spähte hinaus, obwohl er fast nur Finsternis sah. "Rose scheint die Denkweise also nachvollziehen zu können", sagte er, "Ehrlich gesagt, das größte Problem bei gesprochenem Eunoia ist, das zugehörige Symbol zu wissen, weil die Aussprache davon kaum abhängt. Aber das gibt es bei irdischen Sprachen doch auch!"
"Die Aussprache hängt sehr wohl vom Symbol ab!", widersprach Da'an.
Liam drehte sich zu ihm. "Nehmen Sie ... Ni'zaishe und La'esha'qat. Ja, die sind beide E'sha-Varianten. Ja, da ist ein Verweismarker auf Ni'vini. Ja, da ist das Qa'at-Radikal. Aber aus der Aussprache auf das Zeichen zu schließen, gestaltet sich problematisch. Sie dürfen übrigens raten, warum ich das Radikal Radikal nenne."
"Ich darf ... raten?", zeigte sich Da'an verwirrt.
"Wissen Sie, weshalb ich das Radikal Radikal nenne? Können Sie es sich denken?"
Der Taelon bewegte einige Momente lang elegant seine Finger, dann sah er Liam an. "Sie nehmen Bezug auf das lateinische Wort Radix, mit der Bedeutung Wurzel, in der übertragenen Bedeutung auch Ursprung. Ich vermute, sie benutzen dieses Wort, um darzulegen, dass das Teilsymbol als Ursprung der auf ihm aufbauenden Symbole verstanden werden kann."
Der Kimera grinste. "Ich vermute, das ist die Argumentation hinter dieser Wortwahl, aber es ist nicht meine. Diese Wort haben die Sinologen erfunden, um genau dasselbe Phänomen in den chinesischen Sprachen zu bezeichnen. Professor Plunkett ist übrigens Sinologin."
Da'ans Gesichtsausdruck ließ sich geradezu als bedröppelt beschreiben.
"Ich frage mich, welche Erfahrungen der Taelon-Botschafter in Ostasien macht", ergänzte Liam noch, "Er spricht doch Mandarin, nicht wahr?"
Der Taelon legte den Kopf schief. "Es ist unumgänglich, die Sprache des die Botschaft umgebenden Landes zu beherrschen."
"Dann werden ihm möglicherweise Parallelen aufgefallen sein. Sie sollten ihn bei Gelegenheit danach fragen."
"Wenn ich mich daran erinnere."
"Ich werde es Ihnen gerne immer wieder sagen."
"Es wäre deutlich einfacher, würden Sie mich in Ihre Zeitschleife mit einbeziehen, Liam", sagte Da'an.
"Vielleicht", gab Liam zu, "aber die Argumentation hat schon Augur nichts gebracht, und Ihnen wird sie auch nicht helfen." Er straffte sich. "Wir sind etwas vom Thema abgekommen ... Da'an, wie viel Grundenergie kostet ein CVI?"
Da'ans Energiebahnen schimmerten kurz durch seine Fassade. "18 bis 25 Tagesrationen, je nach Modell. Die älteren brauchten mehr, auch CVIs mit geringerem Funktionsumfang brauchen weniger. CVIs ohne Vernetzung mit dem Gedächtnis brauchen sogar nur drei oder vier Tagesrationen." Er straffte sich. "Freiwilligenimplantate, zum Vergleich, werden zu hunderten mit einer einzigen Tagesration hergestellt."
Liam blinzelte. Das war viel konkrete Information auf einmal für Da'ans Verhältnisse. Aber vermutlich hatte sich Da'ans Sicht auf Liam in den letzten Wochen, eben seit er vom Zeitportal wusste, deutlich verändert. Liam bot für die Taelons Chancen, die sie nie zuvor hatten. Die Taelons hatten die Macht über die Zeit nicht, also mussten sie sich mit Liam gut stellen.
Da'an hatte sich das offenbar zu Herzen genommen.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, sah sich um, tat aber weiter nichts. Augur, der jetzt die Kokosnüsse hatte, rauschte in die Küche und schaltete, der Geräuschkulisse nach zu urteilen, die Kaffeemaschine ein.
"Ron", sagte Ava, "Wir sollten einfach abwarten, bis Liam von selbst wieder rauskommt."
"Ja, sollten wir wohl." Ron sah zu Ha'gel. "Aber was machen wir mit ihm? Er steht hier rum und leuchtet? Er braucht doch irgendwie eine unauffälligere Gestalt, aber ich will jedenfalls nicht gleich wieder in einem Kokon landen, das passiert mir in meinem Leben offenbar ohnehin oft genug ..."
Der Kimera sah zu ihm, die Energiebahnen verblassten hinter einer taelonähnlichen Fassade inklusive einem blassgelben Anzug mit vereinzelt bläulich-grünem Schimmer.
"Naja ... viel unauffälliger ist das nicht", bemerkte Ron, "aber wenigstens nicht mehr so leuchtstark."
Ha'gel legte wieder den Kopf schief und blinzelte langsam. "Für Sie ist es ein Jahr her, was eben geschehen ist", sagte er, "Dieses Jahr brachte offensichtlich viele Veränderungen."
Ron spürte, dass er verlegen wurde. Er hatte über Ha'gel gesprochen, als wäre dieser nicht da oder würde ihn zumindest nicht verstehen. "Ja, allerdings."
"Liam", stellte Ha'gel fest, "ist mein Sohn."
"Ja."
"Auch der Ihre", ergänzte Ha'gel, "Wann haben Sie davon erfahren?"
"Vor einem Monat ... lineare Zeit." Ron steuerte einen Sitzplatz an und machte es sich nach Möglichkeit auf dem Sofa bequem. "Ich war zunächst doch recht ... erstaunt."
"Nachvollziehbar." Der Kimera wandte sich einem an der Wand hängenden abstrakten Gemälde zu. "Wenigstens hatte Liam seine Mutter."
"Hatte er nicht", erklang von Augur, der mit einem großen Pott Kaffee aus der Küche zurück kam. "Doors ließ ihre Erinnerungen an ihre Ermittlung gegen Lili, die Entdeckung des Widerstandes und ihr folgenreiches Schäferstündchen mit einem Alien löschen. Sie war daher dann ebenso wie er hier", er wies auf Ron, "braver Taelondiener ohne eigene Gedanken."
"Wer hat Liam dann aufgezogen?"
Augur blieb stehen und runzelte die Stirn. "Äh ... ich ... offenbar", sagte er, "und Lili auch."
"Ich kenne Sie nicht", bemerkte Ha'gel, "aber über Lili Marquette weiß ich von Siobhán genug, dass ich beruhigt sein kann. Liam wurde gut aufgezogen." Er hob eine Hand und folgte mit einem Finger angedeutet einem roten Pinselstrich. "Seine Mutter sollte aber von ihm erfahren", sagte er, "Ihr Imperativ ist nicht stark genug, um gegen all das Wissen, das ich ihr gegeben habe, anzukommen."
"Sie ist tot", sagte Ron, "zu unser aller Bedauern."
Ha'gel wandte sich um. "Und auch nicht zu retten?"
"Nein."
Er sah an ihm vorbei und seine Fassade wurde für einige Momente durchscheinend, dann fasste er sich wieder. Und dann löste sich seine Fassade einen Augenblick lang fast völlig auf. Ha'gel starrte in Rons Augen. "Ich spürte gerade einen Taelon sterben!"
Das war überraschend.
Eine halbe Minute später platzte Liam im Schlafanzug durch die Tür des Gästezimmers wieder in den Hauptraum und rief: "J'dan ist tot! Augur, finde heraus, wo er gerade war und wer sonst dort ist!" Er stürmte quer durch den Raum zum Zeitportal und legte seine Hand in die Einbuchtung. "Und finde Melody! Hat sie etwas damit zu tun?"
"Sie haben das gespürt?", fragte Ron, "Sie haben doch damals ..."
"Da'an hat angerufen. Er hofft, dass dasselbe wie bei Zo'or passiert ist." Liam drehte sich zu Augur, der auf sein Global starrte. "Wo ist Melody?"
"Offenbar im Flat Planet", stellte der Hacker fest, "mit Lili."
"Zo'or?"
Er wischte kurz über den Bildschirm. "In seiner Zelle, nach wie vor."
Ron machte einige Schritte zu Liam. "J'dan hat nicht wenige Feinde, allen voran Sa'mar."
"Der ist Justizminister! Der hat doch andere Möglichkeiten als ihn einfach um die Ecke zu bringen!"
"R'am", ergänzte Ron, "Der ist nicht zimperlich, kann ich aus eigener Erfahrung sagen."
Liam rauschte zurück ins Gästezimmer, kurz später kam er in Jeans wieder und suchte im Pulli die Ärmel. "Augur? Hast du was? Wo war er?"
"Jedenfalls nicht auf dem Mutterschiff", sagte der Hacker, "Er hat vor 22 Minuten ein Portal benutzt, aber ich finde das Ziel nicht. Vermutlich nicht auf der Erde."
"Findest du die Kennung nicht oder den Standort?"
"Standort."
Liam humpelte mitten darin, eine Socke anzuziehen, zum Portal und legte wieder seine Hand in die Einbuchtung. "Schleife von unserer Rückkehr bis in zehn Minuten", sagte er, "Stell das Ziel ein, ich sehe mich dort kurz um."
Augur rollte mit den Augen, aber er gehorchte. In einer Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes entfaltete sich ein Interdimensionsportal.
"Ich komme mit", sagte Ron, "Ich lasse Sie doch nicht alleine in eine wahrscheinlich lebensgefährliche Situation rennen!"
"Es sind ja nur zehn Minuten!", gab Liam zurück.
Ron beharrte energisch: "Trotzdem!", und stellte sich ins Portal, der Kimerahybrid schlüpfte noch schnell in einen linken und einen rechten Schuh und stellte sich dann neben ihn.
Augur löste den Transport aus.
Einen Moment später war Ron klar, dass er lieber daheim geblieben wäre und auch besser Liam überzeugt hätte, dasselbe zu tun. Ohne Atemluft und Boden unter den Füßen schwebte der Implantant im Nichts zwischen den Sternen. Seine Augen schmerzten, die Lippen kribbelten, und es war trotz CVI schwer, dem Drang, die Luft anzuhalten, nicht nachzugeben.
Vorsichtig streckte er seinen rechten Arm seitwärts, zielte kurz, und schoss, dass Liam in bunte Energie zerplatzte. Der nächste Schuss fiel deutlich schwerer, gelang aber dennoch, denn Ron spürte statt eines langwierigen Erstickungstodes nur den kurzen Schmerz eines zielgenauen Kopfschusses.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, sah sich um, tat aber weiter nichts.
Einen Moment später kam Liam aus dem Gästezimmer wieder heraus. "Bah ...", sagte er und schüttelte sich, "Zum Glück waren Sie mit, Ronald. Tod im Vakuum wäre viel schlimmer gewesen als Tod durch Skrill."
"Vakuum?", fragte Augur, zwei Kokosnüsse unter dem Arm, nach.
"Das Portal ist im Weltall. Nicht auf einem Schiff oder einer Station, sondern einfach nur im Weltall."
"Ist J'dan eventuell daran gestorben?", fragte Ava, "Wie lange hält ein Taelon das Weltall aus?"
"Wenn seine Fassade intakt ist, mitunter über etliche Stunden", sagte Ha'gel.
"Wenn seine Fassade nicht intakt ist?", fragte Augur, "Zwanzig Minuten?"
"Nein, auch dann überlebt er deutlich länger."
"Gilt das auch für Kimera?"
Ha'gel legte den Kopf schief und musterte den Hacker. "Das gilt genauso auch für Kimera", bestätigte er, "Möchten Sie mich durch dieses Portal schicken? Sie haben Recht, wenn Sie meinen, dass ich dort länger überleben und mich daher dort besser umsehen kann." Eine dünne Schicht bildete sich an der Grenzfläche seines Energiekörpers und wurde dichter, bis sie eine helle Fassade samt blassgelbem Anzug war. "Ich bin bereit, diese Aufgabe zu erfüllen."
Liam starrte ihn an. "Ähm ..."
"Wenn er das schon anbietet ...", bemerkte Augur, "Ich sehe, ob ich die Portalkennung aus dem Gedächtnis zusammenkriege." Er ließ die Kokosnüsse kurzerhand fallen und widmete sich seinem Global. In der Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes entfaltete sich ein Interdimensionsportal.
Ha'gel festigte sichtbar seine Fassade, dann stellte er sich zwischen die Streben und wartete ab.
Augur wirkte überaus konzentriert, doch dann seufzte er, zuckte mit den Schultern und sagte: "J'dan ist soeben dort angekommen, ich habe die Portalkennung. Ist vermutlich eh die beste Zeit, etwas zu erfahren." Er löste kurzerhand den Transport aus und Ha'gel verschwand.
Liam starrte den Hacker mit offenem Mund an. "Möchtest du nicht eventuell vor solchen Aktionen den Anführer des Widerstandes fragen?"
"Was hättest du gesagt?"
Der Hybrid runzelte die Stirn, seufzte und setzte sich aufs Sofa. "Hm, vermutlich erst mal Nein. Er ist doch ..."
"Für einen Zeitreiseanfänger hat er schnell begriffen, worauf es ankommt", bemerkte Ron, "Ignorieren Sie das nicht. Außerdem ist er zu alt, um von Ihnen gegen seinen Willen beschützt zu werden."
Liam seufzte noch einmal. "Er ist trotzdem mein Vater und noch immer geschwächt von Gefangenschaft und Flucht."
"Aber das ist eine Zeitschleife", sagte Augur, "Was immer ihm dort passiert, ist nicht von Dauer. Außerdem wissen wir alle ja sehr genau, wann genau er woran genau stirbt, und es ist nicht das Vakuum bei dem Portal da draußen."
Und wieder seufzte Liam. "Du hast ja Recht ..."
Ron sah kurz zu Ava, die mit den Augen rollte. "Kommen Sie, Liam", sagte er dann, "Trinken wir eine Tasse Tee, das gehört zum Abwarten immerhin dazu." Er ging voraus in die Küche.
Liam folgte ihm tatsächlich und öffnete die Schublade, in der sich die Teebeutel befanden. Er zupfte einen Beutel Winterzaubertee aus einer Schachtel und warf ihn in eine Tasse, im von Ron befüllten Wasserkocher brodelte es bald.
Ava befüllte ein Tee-Ei mit grünem Tee und hielt ebenfalls eine Tasse bereit. Wenig später füllte Ron diese beiden Tassen und noch eine dritte für sich selbst, in die er dann einen Beutel Früchtetee tauchte.
Augur nahm auch in diesem Durchgang mit Kaffee vorlieb, allerdings machte er keinen großen Pott, sondern ließ sich nur vom Vollautomaten ein kleines Tässchen füllen.
Alle vier nahmen sie am Tisch in der Küche Platz und nippten an ihren Getränken.
Lange hatten sie dafür nicht. Das Wasser hatte fast eine Minute gebraucht, um zu kochen, der Tee musste fünf bis acht Minuten, je nach Sorte, ziehen, und die Schleife endete ja bereits zehn Minuten nach J'dans Tod, so dieser in diesem Durchgang zur selben Zeit geschähe.
Tatsächlich hatte nur Augur seine Tasse geleert, als der Rücksprung stattfand.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug.
Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, bildete sogleich seine Fassade, während er kurz abwartete, bis Liam aus dem Gästezimmer wieder heraus kam. Dann erklärte er: "Ich habe J'dan gesehen. Er war tatsächlich im Vakuum des Weltalls und hatte das offensichtlich nicht erwartet. Seinen, und auch meinen, Tod verursachte allerdings ein jaridianischer Kampfkreuzer."
"Hat J'dan Sie bemerkt?", fragte Augur, wieder mit zwei Kokosnüssen unter dem linken Arm.
"Hat er. Er schrieb seine missliche Lage zweifellos zunächst mir zu."
"Jaridians", sagte Liam, "Also war das Portal ursprünglich in einem Schiff drin und sie haben es rausgenommen ..."
Ha'gel nickte. "Ja, das halte ich für sehr wahrscheinlich." Er legte den Kopf schief. "Vermutlich dient das der Prävention von Angriffen durch Implantanten", fuhr er fort, "Die Alternative wäre, das Portal zu zerstören, aber das würde die Jaridians auch der Möglichkeit berauben, es selbst zur Infiltration taelonischen Gebietes zu nutzen."
Ron runzelte die Stirn und überlegte kurz. "Wie viel wissen Sie über die Kriegstaktiken der Jaridians?"
"Wenig. Ich weiß aber, dass sie nicht über den Interdimensionsantrieb verfügen, entsprechend würden sie erbeutete Transportmittel wohl nach Möglichkeit eher nutzen als zerstören."
"Wie halten die sich überhaupt gegen die Taelons?", fragte Augur ehrlich verwirrt, "Die Taelons können ihnen doch mit dem Interdimensionsantrieb direkt in die Hauptstadt, oder was auch immer die Jaridians haben."
"Sie haben Möglichkeiten, durchs All zu reisen, auch schneller als das Licht", sagte Ha'gel, "aber diese sind dem Interdimensionsantrieb deutlich unterlegen."
"Wie funktionieren die denn?"
"Das weiß ich leider nicht."
"Schade ...", sagte Augur, "Liam, das wäre etwas, was man mit einer Zeitreise herausfinden könnte!"
"Sprünge aus einer Schleife heraus sind nicht möglich", erklärte Liam geduldig, "Wir können die Schleife verlängern, verkürzen, auch mal innerhalb der Schleife reisen oder weitere Schleifen einrichten, aber wir können nicht raus, bevor nicht alle Schleifen aufgelöst sind."
"Ich meine ja nur!", gab Augur zurück, "Irgendwann halt. Nützlich zu wissen wäre es definitiv!"
"Zugegeben, damit hast du Recht", sagte Liam jetzt, "Hast du dir die Portalkennung gemerkt?"
"Kriege ich zusammen."
"Kannst du das Portal kaputtmachen?"
"Ich könnte zum Beispiel eine Handgranate hinschicken, wenn du zufällig eine bei der Hand hast."
"Äh ... nein, habe ich nicht." Er straffte sich. "Okay, kannst du das Portal hierher weiterleiten?"
Augur nickte. "Müsste gehen." Er ließ die Kokosnüsse fallen und sein Global aufschnappen. In der Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes entfaltete sich wieder das Interdimensionsportal. "So, das wären die Befehle, jetzt noch übermitteln ..." Das Portal aktivierte sich, ohne etwas zu transportieren. "Ob es geklappt hat, sehen wir, wenn J'dan das Portal benützt."
Nur sehr kurz später stellte sich heraus, dass es tatsächlich geklappt hatte. Das Portal aktivierte sich und ein Taelon, selbst für einen Taelon sehr groß, erschien darin.
J'dan wandte sich um und starrte die fünf an. "Was geht hier vor?", fragte er mit schneidender Stimme.
"Ich habe gerade Ihr Leben gerettet", sagte Augur fast beiläufig, während er die Kokosnüsse wieder aufhob, "Ihr eigentliches Zielportal befindet sich direkt vor den Waffen eines jaridianischen Kampfkreuzers."
Der Taelon stolzierte gemächlich quer durch den Raum. "Für mich ist der Unterschied gering, ob mich Jaridians töten oder ein Kimera und menschliche Verräter!"
"Dem wäre so, hätten der Kimera und die menschlichen Verräter tatsächlich diese Absicht", gab Augur ärgerlich zurück, "Ich fände Dankbarkeit recht angebracht, aber das ist für Taelons ja unter ihrer hochgezüchteten Würde ..."
J'dan verlor für einen Moment seine Fassade. Ron meinte, ein entsetztes "Frechheit!" herauslesen zu können.
"Weshalb wollten Sie zu Ihrem eigentlichen Zielportal?", ergriff Liam das Wort, "Hat jemand Sie geschickt?"
Der Taelon musterte ihn mit überheblichem Blick, nach einigen Momenten sagte er: "Ich erkenne Sie, Major Kincaid!" Er sah zu Ron. "Agent Sandoval. Da Sie Ihre hohen Stellungen in den Rängen der Companionsicherheit zweifellos behalten wollen, erwarte ich meinen Tod und werde Ihnen keinerlei Informationen geben."
Liam seufzte und rollte mit den Augen. "Naja, es war einen Versuch wert." Er drehte sich um. "Augur, im nächsten Durchgang leitest du das Portal irgendwo anders hin weiter. Von mir aus zu Da'an oder wo auch immer."
Augur nickte. "Kein Problem, mache ich."
"Gut. Ich hole mir ein Stück Schokolade." Liam marschierte in die Küche und rief noch zurück: "Für Tee reicht die übrige Zeit ja nicht mehr."
Ron trat auf J'dan zu und musterte den Taelon seinerseits. "Ehrlich gesagt erscheinen Sie mutiger, als ich erwartet hätte", sagte er, "Ihre klare Weigerung, Informationen preiszugeben, entspricht nicht dem Bild, das Zo'or oder T'than vermitteln."
"Weder Zo'or noch T'than stellen Beispiele für das taelonische Ideal dar!", gab J'dan zurück.
"Dafür hat die Synode die beiden aber erstaunlich lange toleriert!"
Der Taelon reckte die Nase in die Höhe und verlangte: "Töten Sie mich, Agent Sandoval!"
Nun, wenn Ron das so direkt befohlen wurde, dann konnte er da wohl kaum Nein sagen. Er hob seinen Skrillarm und schoss, worauf J'dan sich in blaue Energiefetzen auflöste und weiters ein Loch in der Landschaft hinterließ.
Ron fand sich im Hauptraum unter der Kirche wieder, er sah gerade noch, wie Liam im Gästezimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug. Ha'gel, der hinter ihm aus dem Portal stieg, bildete sogleich seine Fassade.
Ava wartete kurz ab, bis Liam aus dem Gästezimmer wieder heraus kam, dann kommentierte sie: "J'dan einfach zu erschießen war nicht gerade die feine englische Art, auch wenn er es verlangt hat!"
"Vielleicht nicht, aber es hat sich gut angefühlt."
"Vermutlich sollte ich das als bedenklich ansehen", bemerkte sie, "aber ich kann dich verstehen."
"Augur, leitest du ihn weiter?", fragte Liam.
Augur ließ auch diesmal kurzerhand die Kokosnüsse fallen und widmete sich seinem Global. "Ja, zu Da'an", sagte er, "Und was dann?"
"Dann gehe ich auch zu Da'an und sehe, ob ich herausfinden kann, was J'dan bei seinem Zielportal eigentlich machen will." Liam ging zum Portal und legte seine Hand in die Einbuchtung. "Ich habe die Schleife auf zwei Stunden verlängert."
Augur zuckte mit den Schultern. "Genug Zeit für reichlich Kaffee." Er hob die Kokosnüsse wieder auf und begab sich in die Küche.
Liam eilte in die Nische in der hintersten Ecke des Hauptraumes, wo sich sogleich das Interdimensionsportal entfaltete. Er stellte sich zwischen die Streben und war einen Moment später verschwunden.
Ron sah zu Ava. "Zwei Stunden also. Was tun wir?"
"Früher oder später werden wir überlegen müssen, wie wir Boone retten", bemerkte sie, "Warum erzählst du nicht, wie er gestorben ist?"
"Weil ich ungern zugebe, einfach zugesehen zu haben." Er seufzte und schlenderte zum Sofa, auf das er sich dann setzte, Ava nahm ebenfalls Platz. "Boone war schwer verletzt, aber stabil", erklärte er, "Der Heiltank funktionierte, Da'an erwog auch eine geringe Grundenergiegabe, die die Heilung massiv beschleunigt hätte."
"Ein Taelon hätte Energie für einen Menschen geopfert?", fragte Ha'gel.
"Da'an, ja. Zo'or niemals."
"Ich weiß aus Ihren Erinnerungen, dass Sie Da'an vorzogen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sich diese beiden Taelons tatsächlich in solchen Belangen unterscheiden."
Ron runzelte die Stirn. "Warum hat Liam Da'an dann so schnell vertraut?"
Ha'gel kam mit schnellen Schritten näher, er wirkte besorgt. "Er hat ihm vertraut?"
"Da'an wusste von sehr früh an, ich weiß nicht genau, seit wann, dass Liam Kimera ist!", sagte Ron, "Es ist sehr erstaunlich, dass diese Unverantwortlichkeit Liam nicht das Leben gekostet hat."
"Allerdings. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie es dazu kommen konnte."
"Ich auch nicht ..." Ron seufzte. "Ich habe ihn bisher auch nie gefragt, das sollte ich nachholen."
Ha'gel ließ sich auf einen Sofasessel sinken. "Ja, das sollten Sie."
Augur kam aus der Küche zurück, mit einem großen Pott Kaffee setzte er sich zu den anderen. "Worüber redet ihr gerade?", fragte er.
"Wir rätseln, warum Liam Da'an vertraut hat", bemerkte Ron.
"Weil Da'an ihn nicht verpfiffen hat, darum", sagte Augur.
"Nein, warum hat Liam sich als Kimera offenbart?"
Der Hacker sah verdutzt auf, dann musste er laut lachen. "Das ist doch Ihre Schuld!", rief er, "Liam hatte die Wahl, von der Jaridiansonde erledigt zu werden oder Shaqarava zu benutzen. Taugliche Waffe hatte er ja keine."
Taugliche Waffe! Ron machte: "Oh!"
"Was?", fragte Ava verwirrt.
"Zo'or hat Da'an als Köder für die Jaridiansonde benutzt", erklärte Ron, "und ihm zum Schutz einen unimplantierten Hitzkopf ohne taugliche Waffe überlassen. Absichtlich."
"Liam hat damit gerechnet, dass Zo'or ihn nicht implantieren lässt, genau dafür hat er ja den Hitzkopf gespielt bei der Bewerbung", warf Augur ein, "Mit der untauglichen Waffe hat er nicht gerechnet."
Er hatte den Hitzkopf gespielt? Ron spürte, dass sich sein Unterkiefer nach unten verabschiedete. So sehr hatte Liam ihn schon bei der Bewerbung an der Nase herumgeführt? Er hatte ihn gekannt, sehr gut gekannt, hatte ja bis auf wenige Tage sein gesamtes Gedächtnis gehabt. Liam hatte Ron so gut einschätzen können, dass er das Bewerbungsgespräch kontrolliert hatte, nicht Ron!
"Wow!", sagte Ava, "Das habe ich noch nie gesehen."
Augur sah auf. "Hm? Was?"
"Ron ist platt", kommentierte sie, "Das hat nicht einmal Melody in Irland geschafft."
"Hätte sie es schaffen sollen?", fragte Ha'gel nach.
Ron klappte seinen Mund zu und befeuchtete seine Lippen. "Damals in Irland", sagte er, "war Liam platt."
Der Kimera legte den Kopf schief. "Weshalb?"
"Sie ist Ma'el."
Beinahe hätte man meinen können, auf diese Aussage hin wäre auch Ha'gel platt. Ron hätte das jedenfalls nur gerecht gefunden.
"Ich erinnere mich an die Suche nach Ma'els Grab", sagte der Kimera nun, "und darin waren Überreste, bis sie sich verflüchtigen konnten."
"Nur die Hauptenergiebahnen!" Unisono gesprochen von Ron, Ava und Augur.
"Ich verstehe nicht", gab der Kimera zu, "Die Hauptenergiebahnen bleiben beim Tod durch Energiemangel am längsten aktiv, sie sind also genau das, was ich in einem hermetisch abgeriegelten Sarg von einem Taelon erwarten würde."
"Das mag ja sein", bemerkte Ron, "aber die anderen Energiebahnen hat Ma'el mit einem tödlich verletzten menschlichen Kind verschmolzen, eben mit Melody."
Ein bläulich-gelber Schimmer blitzte kurz durch Ha'gels Fassade. "Erstaunlich", sagte er nur.
Augur stellte seinen inzwischen nur mehr halbvollen Pott Kaffee auf den Sofatisch und richtete sich auf. "Wir brauchen doch Melody, um Boone zu retten, richtig?", fragte er, "Ich rufe sie her, dann können wir da zu planen anfangen." Er zückte sein Global und ließ es aufschnappen.
Einen Moment später drang die Geräuschkulisse einer Bar aus dem kleinen Lautsprecher, dann auch ein vergnügtes "Ja?".
"Teuerste Melody, würden Sie uns bitte Gesellschaft leisten?"
"Sind Sie etwa eifersüchtig auf den heutigen Damenabend?"
"Nein, Sie dürfen mit Lili so viele Cocktails trinken, wie Sie wollen. Ich möchte Ihnen aber jemanden vorstellen." Er drehte sein Global etwas zu Ha'gel.
Es klackerte und schepperte aus dem Global, auf dem Gesicht des Kimera fand sich ein Grinsen bis zu den Ohren ein.
Ava lehnte sich nach vorne und fragte: "Ist sie platt?"
"Ihr ist das Global runtergefallen!", wisperte Augur.
Jetzt war Rascheln zu hören, dann ein kurzes Klappern, dann erklang Lilis Stimme: "Wir sind unterwegs!"
Augur schob sein Global zu und grinste. "Ja, Melody ist platt."
Ron sah auf den Pott Kaffee und beschloss, dass er auch einen wollte. Er stand auf und ging in die Küche. Die Packungen Kaffeepulver und Kaffeefilter lagen offen herum, Ron bediente sich und füllte auch Wasser in die Maschine. Dann stellte er ebenfalls einen großen Pott darunter und drückte den Schalter.
"Bist du immer noch platt?", fragte Ava von der Türe.
Er sah zu ihr. "Es geht. Mir war ja durchaus klar, dass er sein Wissen über mich gut genutzt hat."
"Im Endeffekt warst du aber vor allem platt, weil er nicht genug über dich wusste", widersprach sie, "Du hast ihm eine untaugliche Waffe gegeben und er hat nicht damit gerechnet."
"Ja, das stimmt natürlich." Er starrte in die riesige Tasse, in die langsam die tiefbraune Flüssigkeit tropfte. Warum hatte Augur diese Maschine eigentlich? Augur war doch von seinem programmierbaren Kaffeevollautomaten derart begeistert, warum gab er sich mit Filterkaffee ab?
"War auch nicht die feine englische Art", ergriff Ava wieder das Wort.
"Nein."
"Kannst du eigentlich genau sagen, seit wann du wieder ohne Motivationsimperativ unterwegs bist?", fragte sie.
Er seufzte. "Nein. Es war eher graduell." Er schob die Tasse zurecht, dass sie genau mittig unter dem Filter stand. "Aber zu jenem Zeitpunkt war ich den Taelons schon nicht mehr wirklich hörig, ich wollte Zo'ors Vertrauen, um die Taelons von innen heraus zu bekämpfen."
"Und dafür hast du den ... skrupellosen Taelonschergen gemimt", verstand sie.
"Das wäre viel leichter gewesen, wäre ich damals schon beim Widerstand gewesen", bemerkte Ron, "Es lässt sich leichter den Taelons ein Erfolg liefern, wenn man im Widerstand überlegen kann, was man da nimmt. Deshalb hat mich Liam dann ja immer so übertrumpft."
Er hielt nach der Zuckerpackung Ausschau und warf zwei Zuckerwürfel in den inzwischen halbvollen Pott Kaffee.
"Ich hielt Liam für einen skrupellosen Taelonschergen", ergänzte er, "und die anderen Beschützer, die Freiwilligen und auch die meisten Taelons denken das noch heute."
"J'dan auch?", überlegte Ava, "Das heißt, ohne Ha'gel im Raum hätte er uns vielleicht alles erzählt."
"Wahrscheinlich. Bei Da'an jetzt aber bestimmt auch."
"Ich bin gespannt, was Liam im nächsten Durchgang erzählt", gab Ava zu, "Dass ein Taelon direkt durch einen Jaridianangriff zu Tode kommt, ist ja eher selten."
Liam trat aus dem Portal der nordamerikanischen Botschaft und sah sich um. Das spärliche Licht von den glühenden Adern des organischen Gebäudes hielt die Winternacht nicht fern, es war kaum etwas zu erkennen.
War denn die Außenbeleuchtung der Botschaft nicht aktiv? Offensichtlich nicht, und die nächsten Gebäude waren auch nicht nennenswert erhellt.
Liam trat durch einen Durchgang und fand Da'an meditierend vor. Der Taelon bemerkte ihn aber sofort.
"Major?", fragte er, "Weshalb sind Sie so spät hier?"
"Ich warte auf J'dan."
"J'dan verlässt das Mutterschiff nie", sagte Da'an, "Sie werden sich dorthin begeben müssen, wenn Sie mit ihm sprechen möchten."
"Er wird das Mutterschiff in wenigen Augenblicken verlassen", widersprach Liam, "Ohne Augurs Eingriff würde das zu seinem Tod führen, und käme er zum Widerstand, würde er nichts sagen."
Der Taelon flackerte kurz auf, dann erhob er sich. "Sie machen gerade eine Zeitschleife", verstand er, im nächsten Augenblick war auch schon das Portal zu hören. Er wischte kurz durch die Luft, worauf sich die Räume der Botschaft erhellten.
J'dan kam durch den Durchgang in Da'ans Räumlichkeiten. "Ich bin überrascht, hier zu sein", sagte er auf Eunoia, "Mein eigentliches Zielportal verweigert nun den Transport, aber zunächst wurde ich ungewollt hierher gesendet." Er bemerkte jetzt auch, dass Liam hier war, und bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. "Weshalb lässt du einen Menschen um dich sein, wenn er nicht für seine Pflicht hier sein muss?"
"Er muss für seine Pflicht, Taelons zu schützen, hier sein", antwortete Da'an, ebenso auf Eunoia, "Welches ist dein eigentliches Zielportal?"
"Qa'shava."
"Handelt es sich dabei um die Grenzstation oder einen gleichnamigen anderen Ort?", warf Liam, ebenfalls auf Eunoia, ein, "Ist der Ort sicher oder möglicherweise kompromittiert?"
J'dan sah aus, als würde er entsetzt nach Luft schnappen. Liam kam nicht umhin, zu rätseln, weshalb er diese Mimik zeigte, denn Atmung und Sauerstoffversorgung waren für einen Taelon ja nicht notwendig.
Da'an formte eine bekräftigende Geste. "Major Kincaid mag unhöflich erscheinen, aber seine Fragen beweisen seine Pflichterfüllung. Ich schlage vor, du antwortest ihm."
Weshalb hatte Liam das Gefühl, Da'an nutzte die Zeitschleife, um selbst auch etwas aus dem taelonisch geregelten Leben auszubrechen?
J'dan sah jetzt auch seinen Mittaelon missmutig an, aber er antwortete tatsächlich: "Es handelt sich um die Grenzstation, und sie ist sicher. Ich wurde von Sha'on gebeten, dem Test einer neuen Waffe beizuwohnen." Er ließ seinen Blick jetzt über Liam schweifen, dann wandte er sich wieder Da'an zu. "Du hast also beschlossen, einen Menschen Eunoia zu lehren", sagte er kalt, "Erneut! Es wurde bereits zu deinem vorigen Beschützer vermerkt, dass er unsere Schrift lesen kann."
"Menschen sind dazu in der Lage. Weshalb sollten sie diese Fähigkeiten nicht nutzen?"
J'dan musterte wieder Liam, mit deutlich missbilligendem Blick, aber er sagte dazu nichts mehr. Vermutlich aber nur, weil er ja wusste, dass Liam ihn verstehen konnte.
"Eine Grenzstation ist schon alleine der Definition nach nicht sicher", bemerkte dieser jetzt, "Jederzeit kann der Gegner angreifen. Das könnte durchaus genau zwischen Sha'ons Bitte und Ihrer Abreise geschehen sein."
Wieder schnappte J'dan nach Luft. Es musste mehr als nur reine Mimik sein, denn es war tatsächlich etwas dabei zu hören.
"Er hat Recht", bemerkte Da'an, "Wir sollten Kontakt zur Station suchen, um Genaueres zu erfahren." Er ging einige Schritte und wischte durch seinen Datenstrom.
Einige der Anzeigen sprangen um, schließlich erschien das Abbild eines gehetzt wirkenden Taelons inmitten der durch den Raum rieselnden Lichtfetzen. "Sinaui Euhura, Da'an", sagte der Taelon überaus höflich, er schien in der taelonischen Hackordnung recht weit unten zu stehen.
"Sha'on", grüßte Da'an, "Ich wünsche, den Status deiner Station zu erfahren. Gibt es irgendwelche Besonderheiten oder ungewöhnliche Vorkommnisse?"
Sha'on starrte nur geradeaus. "Nein, nichts Besonderes, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse." Und keinerlei taelontypische Gestik.
Er log. Liam wusste es, Da'an wusste es offensichtlich ebenfalls und auch J'dan hatte es zweifelsfrei erkannt.
"Lass das Portal untersuchen", wies Da'an Sha'on an, "Es lässt sich nicht ansteuern, wie J'dan gerade eben feststellen musste."
Jetzt flackerte Sha'on grellblau auf. "Ja ... ich werde das sogleich veranlassen, Da'an." Er wischte vor sich durch die Luft und sein Abbild in der nordamerikanischen Botschaft löste sich auf.
"Er wird offensichtlich bedroht", sagte Liam, "Ich vermute, die Station wurde vom Gegner eingenommen."
J'dan wandte sich um und stolzierte Richtung Portal. "Ich werde veranlassen, dass die Selbstzerstörung ausgelöst wird."
Da'an setzte an, ihm zu widersprechen, doch Liam hob warnend die Hand und schüttelte den Kopf. Sie warteten schweigend ab, bis der Taelon abgereist war.
"Lassen Sie ihn nur", sagte Liam dann, nun nicht mehr auf Eunoia, "Ich habe neue Informationen, die mir im nächsten Schleifendurchgang neue Möglichkeiten eröffnen werden."
Da'an sah ihn an. "Ich werde Sie in jedem Durchgang dabei unterstützen", sagte er, "Noch besser könnte ich das aber, würde auch ich mich erinnern."
Liam lächelte, schüttelte aber den Kopf. "Es tut mir leid, Da'an, dafür müsste die Situation deutlich schlimmer sein."
"Ich kann und will Sie nicht zwingen, nur bitten."
"Ich werde Sie über die Geschehnisse in den Schleifendurchgängen informieren."
"Das wird genügen", sagte Da'an, "Ich danke Ihnen." Er machte eine hübsche Handbewegung. "Was werden Sie nun tun? Wie lange umspannt die Schleife?"
Liam runzelte die Stirn. "Etwas über zwei Stunden. Erzählen Sie mir von Qa'shava."
Der Taelon hob seine Hand und wischte kurz durch die Luft, worauf es in der Botschaft wieder dunkel wurde, dann trat er ans riesige Fenster aus virtuellem Glas. "Sie ahnen bereits, dass Qa'shava eine sehr, sehr alte Station ist. Sie wurde mehrere hundert Mal umpositioniert, um den Veränderungen des Frontverlaufes Rechnung zu tragen."
"In welche Richtung?"
Da'ans Fassade wurde für einen Moment durchscheinend. "Ausschließlich in Richtung des taelonischen Gebietes."
Liam folgte dem Taelon ans Fenster. "Es steht also sehr schlecht um den Kriegsverlauf", stellte er fest, "anders als damals, als die Taelons gegen die Kimera kämpften."
Da'an war einige Momente lang still. "Was damals unser Vorteil war, die vielen Soldaten unserer unterworfenen Welten, ist nun der Vorteil der Jaridians."
"Wie das?"
"Die Jaridians kennen drei Möglichkeiten, mit taelonisch unterworfenen Welten umzugehen", sagte Da'an, "Zerstörung, Befreiung oder ihrerseits Unterwerfung."
"Zerstörte Welten kämpfen nicht für die Taelons. Befreite Welten kämpfen für die Jaridians. Unterworfene Welten ... ?"
"Unterworfene Welten bauen ihre Kriegsschiffe." Da'an streckte eine Hand aus, so dass sie fast das virtuelle Glas berührte. "Hoffen Sie, dass die Jaridians die Erde nicht finden. Meiner Einschätzung nach würde sie am ehesten zerstört."
"Weshalb?", fragte Liam, "Sollte eine Widerstandsbewegung auf einer taelonisch unterworfenen Welt nicht eher eine Befreiung nahelegen?"
"Der Widerstand wird den Jaridians nichts bedeuten", sagte Da'an, "Die Jaridians werden sehen, dass unimplantierte Menschen mit den Taelons zusammenarbeiten, und das wird ihnen genügen, um die Erde zu zerstören."
"Schade ..."
Einige Momente war es still.
"Da'an, wie viel Grundenergie kostet ein CVI?"
Der Taelon sah ihn überrascht an. "Woher wissen Sie das?"
"Äh ... im Endeffekt von J'dan. In der Schleife vor Zo'ors Menschwerdung hat J'dan beschlossen, Ronald neu zu implantieren, und dabei offenbar die Kosten erwähnt. Ich war allerdings nicht persönlich dabei."
Da'an war weiterhin überrascht. "Agent Sandoval versteht gesprochenes Eunoia?"
"Allerdings! Eunoia ist wirklich nicht so kompliziert, wie Taelons immer behaupten."
"Wissen Sie von einem unimplantierten Menschen, der es versteht?", fragte der Taelon etwas ärgerlich.
Liam sah ihn an und musste grinsen. "Fühlen Sie sich etwa bedroht?"
"Eunoia ist nicht nur eine Sprache, sondern auch eine Denkweise", erklärte Da'an, "Diese Denkweise ist einem CVI alles andere als fremd, daher unterstützt es den Implantanten dabei, Eunoia zu verstehen."
"Professor Rose Plunkett hat kein CVI", sagte Liam, "und nach einem Crashkurs mit Melody versteht sie Eunoia nicht mehr nur geschrieben, sondern auch gesprochen." Er lehnte sich etwas zum virtuellen Glas und spähte hinaus, obwohl er fast nur Finsternis sah. "Rose scheint die Denkweise also nachvollziehen zu können", sagte er, "Ehrlich gesagt, das größte Problem bei gesprochenem Eunoia ist, das zugehörige Symbol zu wissen, weil die Aussprache davon kaum abhängt. Aber das gibt es bei irdischen Sprachen doch auch!"
"Die Aussprache hängt sehr wohl vom Symbol ab!", widersprach Da'an.
Liam drehte sich zu ihm. "Nehmen Sie ... Ni'zaishe und La'esha'qat. Ja, die sind beide E'sha-Varianten. Ja, da ist ein Verweismarker auf Ni'vini. Ja, da ist das Qa'at-Radikal. Aber aus der Aussprache auf das Zeichen zu schließen, gestaltet sich problematisch. Sie dürfen übrigens raten, warum ich das Radikal Radikal nenne."
"Ich darf ... raten?", zeigte sich Da'an verwirrt.
"Wissen Sie, weshalb ich das Radikal Radikal nenne? Können Sie es sich denken?"
Der Taelon bewegte einige Momente lang elegant seine Finger, dann sah er Liam an. "Sie nehmen Bezug auf das lateinische Wort Radix, mit der Bedeutung Wurzel, in der übertragenen Bedeutung auch Ursprung. Ich vermute, sie benutzen dieses Wort, um darzulegen, dass das Teilsymbol als Ursprung der auf ihm aufbauenden Symbole verstanden werden kann."
Der Kimera grinste. "Ich vermute, das ist die Argumentation hinter dieser Wortwahl, aber es ist nicht meine. Diese Wort haben die Sinologen erfunden, um genau dasselbe Phänomen in den chinesischen Sprachen zu bezeichnen. Professor Plunkett ist übrigens Sinologin."
Da'ans Gesichtsausdruck ließ sich geradezu als bedröppelt beschreiben.
"Ich frage mich, welche Erfahrungen der Taelon-Botschafter in Ostasien macht", ergänzte Liam noch, "Er spricht doch Mandarin, nicht wahr?"
Der Taelon legte den Kopf schief. "Es ist unumgänglich, die Sprache des die Botschaft umgebenden Landes zu beherrschen."
"Dann werden ihm möglicherweise Parallelen aufgefallen sein. Sie sollten ihn bei Gelegenheit danach fragen."
"Wenn ich mich daran erinnere."
"Ich werde es Ihnen gerne immer wieder sagen."
"Es wäre deutlich einfacher, würden Sie mich in Ihre Zeitschleife mit einbeziehen, Liam", sagte Da'an.
"Vielleicht", gab Liam zu, "aber die Argumentation hat schon Augur nichts gebracht, und Ihnen wird sie auch nicht helfen." Er straffte sich. "Wir sind etwas vom Thema abgekommen ... Da'an, wie viel Grundenergie kostet ein CVI?"
Da'ans Energiebahnen schimmerten kurz durch seine Fassade. "18 bis 25 Tagesrationen, je nach Modell. Die älteren brauchten mehr, auch CVIs mit geringerem Funktionsumfang brauchen weniger. CVIs ohne Vernetzung mit dem Gedächtnis brauchen sogar nur drei oder vier Tagesrationen." Er straffte sich. "Freiwilligenimplantate, zum Vergleich, werden zu hunderten mit einer einzigen Tagesration hergestellt."
Liam blinzelte. Das war viel konkrete Information auf einmal für Da'ans Verhältnisse. Aber vermutlich hatte sich Da'ans Sicht auf Liam in den letzten Wochen, eben seit er vom Zeitportal wusste, deutlich verändert. Liam bot für die Taelons Chancen, die sie nie zuvor hatten. Die Taelons hatten die Macht über die Zeit nicht, also mussten sie sich mit Liam gut stellen.
Da'an hatte sich das offenbar zu Herzen genommen.
Don't diagnose and drive.